Grüner Frühling im rot-roten Herbst

Die Grünen boomen in der jüngsten Umfrage auf 18 Prozent, obwohl vieles dagegen sprechen müsste. Die Fraktionsspitze macht dafür den Bundestrend zumindest mitverantwortlich. Wolfgang Wieland will an einer Kandidatur beim Bundesparteitag am kommenden Wochenende „null Interesse“ haben

von STEFAN ALBERTI

Man stelle sich die Tochter eines Unternehmens vor, die zwar ordentlich arbeitet, aber mit Frust in der Führung, Querelen bei der Mutterfirma und deren Geschäftpartnern zu kämpfen hat und zudem vor einer Hauptversammlung mit ungewissem Ausgang steht. So ähnlich sieht, auf die Politik übertragen, die Lage der Berliner Grünen aus. Doch während bei dem Unternehmen der Börsenkurs zumindest stagnieren würde, boomt die Partei auf 18 Prozent, doppelt so viel wie bei der Wahl 2001. Eine Erklärungssuche fünf Tage vor dem Bundesparteitag zur Vereinbarkeit von Amt und Mandat.

In der Sachpolitik schaut die Grünen-Fraktion fraglos auf erfolgreiche Oppositionsmonate zurück, etwa jüngst bei der Verkehrspolitik. Im Streit um das Brandenburger Tor setzte sich mit der Schließung eine ihrer langjährigen Forderungen durch. Beim Flughafen Tempelhof, wo die Grünen das sofortige Aus verlangen, ist die Schließung zumindest bis 2005 herangerückt. Doch selbst Fraktionschefin Sibyll Klotz hält manche fachpolitische Initiative für schwer vermittelbar, mag nicht glauben, dass etwa das detaillierte Konzept zur Sanierung der Wohnungsbauförderung bei jedem angekommen ist

Regina Michalik hingegen wäre an der Börse einer der Gründe, warum die Grünen so gut nicht notiert sein dürften. Denn die Landesvorsitzende will im Februar beim Parteitag nicht wieder kandidieren, will nicht länger „Müllecke und Schuttabladestelle für jeden“ sein. Eine Chefin, die entnervt aufhört – das würde Anleger zweifeln lassen, umso mehr, wenn sie sich zu Recht beklagt. Michalik sieht statt eines Booms einen kontinuierlichen Aufstieg, erkennt als Grund nicht nur einen schwachen rot-roten Senat, dem die Wähler scharenweise weglaufen: „Wir waren bei der Abgeordnetenhauswahl eindeutig unterbewertet. Nur 9,1 Prozent, das hatten wir nicht verdient.“ Den Zuwachs macht sie auch an der Mitgliederzahl fest, die seit Januar um 200 auf über 3.400 kletterte.

Auch die Pannen beim Versuch, mit der traditionellen Trennung von Amt und Mandat zu brechen, hätten den Grünen eigentlich auf die Butterseite fallen lassen müssen – analog zum Möllemann-Effekt, der die Berliner FDP auf 6 Prozent gegenüber fast 10 im vergangenen Jahr drückt. Anträge zu Satzungsänderungen waren sowohl beim jüngsten Grünen-Bundesparteitag in Bremen im Oktober wie auch vor zehn Tagen auf Landesebene gescheitert. „Bei allem Respekt vor unserer Debatte, aber Möllemann hat nach außen hin schon eine andere Wirkung“, sagt die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Sibyll Klotz. Die internen Debatten, so ist zu hören, verblassen angesichts größerer Krisen im Bund wie in Berlin.

Klotz kocht den Umfrageboom eher klein und macht hauptsächlich den Bundestrend dafür verantwortlich. „Ich nehme die 18 Prozent nicht so ernst, dass ich jetzt für uns das Projekt 18 ausrufen würde.“ Mit den 9,1 Prozent im vergangenen Jahres habe man die Stammwählerschaft erreicht, „aber auch nicht viel mehr“. 12 bis 14 Prozent hält Klotz bei den nächsten Wahlen für machbar.

Als dritter Punkt hätte den Grünen die Kritik an der rot-grünen Bundesregierung schaden können, vor allem nach dem Ja zum erhöhten Rentenbeitrag. Im Bewusstsein der Leute habe nicht das Ergebnis gezählt, sondern der Widerstand der Grünen, meint Klotz’ Fraktionschefkollege Wolfgang Wieland. Das hätte jedoch auch anders kommen können: „Dieses Mal ist es noch gut gegangen, aber auf Dauer wird das nicht ausreichen.“

Medienberichte hatten Wieland als möglichen Bundesvorsitzenden genannt, falls sich die derzeitigen Chefs und Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und Fritz Kuhn mit der Vereinbarkeit von Amt und Mandat nicht durchsetzen können. „Das wäre eine Variante“, sagte Klotz – aber nur, wenn Roth und Kuhn scheitern. „Und ich habe ein Interesse daran, dass die beiden gewählt werden.“ Insofern sei es nicht hilfreich, Alternativen öffentlich zu diskutieren. Wieland selbst dementierte: Er habe „null Interesse“ gezeigt. Falls es doch anders kommt, müsste er zwar den Fraktionsvorsitz und nach 13 Jahren sein Mandat im Abgeordnetenhaus aufgeben. Ein Führungswechsel in der Fraktion war jedoch schon nach der Abgeordnetenhauswahl im Gespräch.

Ob am Wochenende neues Personal an der Bundesspitze nötig sein wird, weil die Satzungsänderung erneut scheitert, beantwortet bislang keine repräsentative Umfrage. Landeschefin Michalik sieht keine Veränderungen gegenüber dem knappen Abstimmungsergebnis beim Bremer Parteitag vor sechs Wochen, gibt daher keine Prognose ab: „Da könnten Sie auch das Orakal von Delphi befragen.“