Ein Elefant denkt nicht ans Geld

Das Moskauer Malerduo Komar und Melamid setzt auf die posthumane Kunst

„Wenn das Kunst ist, haben Außerirdische den Planeten erobert!“

Der Künstler Seng Wong (34) taucht gewöhnlich sehr vorsichtig mit seinem Rüssel die Bürste in einen von mehreren Farbeimern, streicht dann damit über die Leinwand und versinkt in tiefe Konzentration. Eva (21) dagegen attackiert die Leinwand heftig, sie kombiniert dabei die Anmut von Jackson Pollock mit der Unnachgiebigkeit von Marschall Rommel. Ramona (7) wiederum ist ein junger, aufsteigender Star der Kunstszene, zahm in der zweiten Generation, aufgewachsen im Umfeld der Unterhaltungsindustrie – ihre Mutter führte einst akrobatische Tricks vor touristischem Publikum auf.

Die Künstler sind asiatische Elefanten und leben in Elefanten-Kunstakademien. Drei davon haben die seit 1978 in New York beheimateten Moskauer Maler Vitaly Komar (59) und Aleksandr Melamid (57) Ende der 90er-Jahre in Thailand gegründet, eine auf Bali. Das weltberühmte Künstlerduo hatte gerade selbst in einem US-Zoo mit einem Elefanten zusammengearbeitet, als es auf die Probleme der Dickhäuter in Südostasien aufmerksam wurde. Früher waren die meisten von ihnen dort in der Holzindustrie beschäftigt. Als neue Gesetze zum Schutz der Regenwälder griffen, verloren sie und ihre Führer Kost und Logis. In den Akademien genießen sie nun das große Privileg, sich mit ihren Wärtern auf würdige Weise ihre Bananen zu verdienen – 1999 wurden Elefantengemälde sogar auf der Biennale in Venedig gezeigt.

Die gerüsselten Werke fanden nicht nur Bewunderer, sondern auch Käufer: Im März 2000 brachten 50 Bilder von sieben asiatischen Elefanten in einer Auktion bei Christie’s in New York zusammen 30.000 Dollar. Dort entfuhr einem Zuschauer der empörte Ausruf: „Wenn das Kunst ist, haben Außerirdische den Planeten erobert!“

Komar und Melamid machen sich schon ein Leben lang über die in ihrer jeweiligen Umgebung herrschenden Kunstmythen lustig. 1965 lernten sie sich bei einem anatomischen Zeichenkurs in einer Moskauer Leichenhalle kennen. Seither malen sie ihre Bilder zu zweit und führen so die Vorstellung vom Künstler als einsames Genie ad absurdum.

Die beiden Konzeptualisten gelten als Erfinder der so genannten Soz-Art. Mit feinen Pinselstrichen porträtierten sie sich und ihre Nächsten in den Posen der sozialistischen Führer, dekoriert mit den Emblemen der Sowjetmacht. In einer späteren Phase erforschten sie mit aufwändigen Umfragen die kitschigen Kunstideale der Durchschnittsbürger in aller Welt und versuchten, deren Wünschen in ihren Arbeiten gerecht zu werden. „Warum trauen wir dem Mann von der Straße zu, den Präsidenten zu wählen, nicht aber zu entscheiden, was ein gutes Bild ist?“, fragten sie.

„Elephant Art and Conservation Project“ heißt die Organisation, die das Künstlerduo zusammen mit dem World Wildlife Fund gründete. Ihre Erträge kommen ausschließlich den Elefanten zugute. Deren Kunst, so meinen Komar und Melamid, sei per se antimuseal. Denn ein Elefant malt nur so, aus Freude am Prozess, er denkt weder an Moden noch ans Honorar. Der Strich des einen Dickhäuters bringt eher fröhliche Würmer hervor, ein anderer bürstet zielstrebige Stichlinge auf die Leinwand.

Komar und Melamid gehen davon aus, dass sich diese Kunst noch entwickeln wird. Nach der Postmoderne gehöre die Zukunft der posthumanen Kunst. Überhaupt sei die Kreativität im Tierreich sehr viel verbreiteter als unter Menschen: „Jahrtausendelang haben Elefanen mit Steinen oder Ästchen mysteriöse Zeichen auf den Waldboden gekritzelt. Elefantenkunst ist nur für die Menschen neu, nicht aber für Elefanten.“

Als Nächstes nimmt das Künstlergespann ein Holzarchitekturprojekt in Angriff – gemeinsam mit Bibern.

BARBARA KERNECK

Vitaly Komar hält am 5. Dezember um 19 Uhr in der ifa-Galerie, Berlin, Linienstr. 139–140, einen Vortrag über Co-Autorenschaft (in englischer Sprache). Ebenfalls in der ifa-Galerie ist auch noch bis zum 7. Dezember die Ausstellung „Gefährliche Spiele“ unter Beteiligung von Vitaly Komar und Aleksandr Melamid zu sehen - am Samstag geöffnet bis 21 Uhr