Ein Balljunge vertreibt Kafelnikows Ego

Ersatzmann Michail Juschni spielt den russischen Helden beim mit 3:2 gewonnenen Daviscup-Finale gegen Frankreich

BERLIN taz ■ Um die Sache doch noch zu richten für das russische Daviscup-Team, musste am Ende der Balljunge ran. Ein solcher war Michail Juschni zumindest 1995 gewesen, als das Team um Jewgeni Kafelnikow in Moskau das Finale gegen die USA verlor. Diesmal hatte der mittlerweile 20-Jährige die Bälle jedoch nicht aufzusammeln, sondern zu schlagen, und er tat dies in zunehmend bravouröser Weise. In fünf Sätzen bezwang Juschni im letzten, entscheidenden Match den gleichaltrigen Franzosen Paul-Henri Mathieu, obwohl er nach Sätzen schon 0:2 zurückgelegen hatte. Der Kraftakt des Ersatzmannes bewahrte die Russen vor ihrer dritten Finalniederlage nach 1994 und 1995, sie waren das erste Team seit den Australiern 1964 (gegen die USA), das einen 1:2-Rückstand noch in einen Sieg verwandeln konnte.

Pikanterweise war es ausgerechnet sein altes Idol Kafelnikow, dessen Platz Michail Juschni in Paris einnahm. Der 28-Jährige hatte vor dem Match angekündigt, dass er seine Karriere beenden werde, wenn es ihm gelänge, das russische Team zum Daviscup-Triumph zu führen. Die Mission glückte zwar, doch der Anteil Kafelnikows war denkbar gering. Sollte es tatsächlich seine Abschiedsvorstellung gewesen sein, dann geriet sie ähnlich kläglich wie jene von Arantxa Sanchez-Vicario jüngst beim Fedcup, als sie vom Publikum auf Mallorca verhöhnt wurde und in Tränen ausbrach.

Tränen waren beim allzeit coolen Kafelnikow nicht zu sehen, doch er gab zu: „Mein Ego ist irgendwo in Sibirien.“ Während Marat Safin mit Siegen in beiden Einzeln seine Mannschaft im Match hielt, hatte Kafelnikow zum Auftakt sang- und klanglos gegen Sebastien Grosjean verloren, den dritten Satz sogar mit 0:6. Besser lief es an der Seite von Safin im Doppel, doch auch das ging gegen die Franzosen Escudé/Santoro nach fünf Sätzen verloren.

Am Sonntag war Kafelnikow dann am Ende. „Er war müde“, erklärte Safin, warum Teamkapitän Schamil Tarpischew, der einstige Tennislehrer des in Paris im Publikum befindlichen Boris Jelzin, Juschni für Kafelnikow brachte. Der Verstoßene selbst, alles andere als ein Sympathieträger im Tenniszirkus und oft gesteigerter Arroganz sowie Geldgier bezichtigt, äußerte sich ungewohnt demütig: „Manchmal muss man seinen persönlichen Ehrgeiz eben beiseite legen.“ Leicht gefallen ist Jewgeni Kafelnikow dies mit Sicherheit nicht. Dafür hat es ihm einen Daviscup gebracht – dank des Balljungen. MATTI LIESKE