haushaltsdebatte
: Die nivellierte Armut

Drei Tage dauert die Haushaltsdebatte. Drei Tage, das ist viel Zeit zum Reden. Und dennoch ist fast interessanter, was nicht diskutiert wird. Etwa jene 2,9 Milliarden Euro, die im nächsten Jahr bei der Arbeitslosenhilfe eingespart werden. Sie sind kaum der Rede wert, gelten als Sachzwang. Schließlich ist Deutschland ziemlich pleite.

Kommentarvon ULRIKE HERRMANN

Stattdessen entzündet sich die Debatte lieber an anderen Themen: an der Besteuerung von Aktienverkäufen, der Eigenheimzulage oder der erhöhten Steuer für die private Nutzung von Dienstwagen. Auf den ersten Blick würde man denken – alles Wohlstandsthemen. Doch so werden sie nicht präsentiert. Glaubt man den Kritikern, dann hat Finanzminister Hans Eichel vor, die wahrhaft Armen zu schröpfen.

Plötzlich hat es den Anschein, als würden vor allem Ford-Mitarbeiter darunter leiden, wenn der Dienstwagen höher besteuert wird. Oder als würden bei der Aktienbesteuerung ärmliche Rentner von morgen bestohlen, die ihren letzten Spargroschen in einem Fonds angelegt haben. Und bei dem Eigenheim handelt es sich angeblich um eine Art Grundrecht – für Familien sowieso.

Wir nehmen an einer eigenartigen Umwertung des Begriffes Armut teil. Neuerdings leidet Not, wer ein bisschen länger für sein Eigenheim sparen muss. Die neuen Armen, das ist die alte Mittelschicht. Umgekehrt gibt es aber auch neue Reiche – das sind die alten Armen. Die Arbeitslosen zum Beispiel. Plötzlich sind sich fast alle einig, dass sie wohl viele Milliarden Euro übrig haben. Daher braucht man gar nicht erst zu diskutieren, dass man dort sparen kann.

Nur Hans Eichel scheint noch deutlich wahrzunehmen, was sich ereignet. Gestern kündigte er weitere Einschnitte in den kommenden Jahren an. Und sagte gleichzeitig „als Finanzminister ganz ausdrücklich“, dass man dabei nicht immer „die schwächsten Teile der Gesellschaft“ belasten dürfe. Dieser Satz war anscheinend als eine soziale Mindestgarantie gedacht, als ein Schutz für die Einkommensschwachen.

Doch so dürfte er nicht verstanden werden. Im Gegenteil: Es werden sich nur noch mehr Lobbytruppen überlegen, wie sie sich möglichst schnell arm rechnen können.

Einst galt die Bundesrepublik als „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“. Das ist längst vorbei. Stattdessen werden wir demnächst in einer nivellierten Armutsgesellschaft leben. Wenn auch nur rhetorisch.