off-kino Filme aus dem Archiv –frisch gesichtet

Lange Zeit kannte man lateinamerikanische Revolutionen im Kino nur als reine Männersache. Das drückte sich bereits in den Filmtiteln aus: „Viva Villa!“ oder „Viva Zapata!“ hieß es da, und dann ritten die Mucho-Macho-Caballeros los, um fiese Despoten zu bekämpfen – während ihre Frauen gerade einmal treusorgend hinterherblicken durften. Doch Mitte der 60er-Jahre war es vorbei mit den überkommenen Rollenmustern: „Viva Maria!“ lautete nun der Schlachtruf in Louis Malles gleichnamiger Farce, in der sich die französische Schauspielerin Maria I (Jeanne Moreau) und die irische Anarchistin Maria II (Brigitte Bardot) während einer Varieté-Tingel-Tour durch Mittelamerika unversehens als Anführerinnen einer blutigen Revolte wiederfinden. Zumal der ursprüngliche Kopf des Aufstands (George Hamilton) zwar gut aussieht – Maria I verliebt sich –, jedoch die rechte Durchschlagskraft vermissen lässt. Beschwingt verbindet Malle die Abenteuerparodie mit der Musikkomödie und inszeniert ein vor allem in der zweiten Hälfte des Films überaus tempo- und gagreiches Spektakel, in dem die natürliche Bardot und die theatralischere Moreau (die folgerichtig bei ihrer revolutionären Ansprache an die Bauern Shakespeares „Julius Caesar“ zitiert) ein hübsch anarchisches Team abgeben. Auf dass den tyrannischen Diktatoren und hinterhältigen Pfaffen ihr „Karamba“ im Halse stecken bleiben möge …

„Viva Maria!“ 8. 12., 10. 12. im Filmkunsthaus Babylon 1

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Als Erfinder des Monumentalfilmgenres dürfen die Italiener gelten: In Werken wie „Der Fall Trojas“ (1910), „Quo vadis?“ (1912) und „Die letzten Tage von Pompeji“ (1913) griffen die italienischen Regisseure der frühen Zehnerjahre auf Stoffe der Antike zurück und statteten sie mit den später genreüblichen Zutaten aus: Statistenheere, imposante Kulissen, muskelbepackte Helden, geknechtete Christen und Löwen im Circus Maximus. Ein erster Höhepunkt des Genres war Giovanni Pastrones „Cabiria“ (1914): Nicht nur, dass der Regisseur für die Zwischentitel des zu Zeiten der Punischen Kriege spielenden Action-Melodrams den Dichter Gabriele D’Annunzio verpflichtete, er filmte auch teilweise an Originalschauplätzen in Sizilien, Nordafrika und den Alpen und experimentierte – höchst ungewöhnlich für jene Epoche – mit einer bewegten Kamera. Zudem ließ Pastrone rundum begehbare, plastische Kolossalbauten als Dekorationen errichten – auch dies ein Novum in der damals noch jungen Geschichte des Antikfilms; zuvor hatte man sich noch vor allem mit Theaterprospekten beholfen. Die Story von „Cabiria“ kommt allerdings einigermaßen verwickelt daher: Da wird ein Mädchen in den Wirren nach einem furios inszenierten Vulkanausbruch auf Sizilien von Piraten geraubt und erlebt ziemlich haarsträubende Abenteuer, ehe es schließlich als Frau des edlen Römers Fulvio heimkehren kann. Eigentlicher Held des Films ist jedoch Fulvios Diener Maciste (Bartolomeo Pagano), ein Hüne im Leopardenfell, der die Dame andauernd vor blutrünstigen Hohepriestern und anderen Gefahren erretten muss. Den Muskelmann wurden die Italiener anschließend nicht wieder los: In seinen verschiedenen Inkarnationen machte Maciste die naiven Sandalenepen noch bis in die Sechzigerjahre hinein unsicher.

„Cabiria“ 6. 12. im Arsenal 2

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Erst kürzlich konnte man im Kino Adrian Lynes unter dem Titel „Untreu“ gestartetes Remake von Claude Chabrols „Die untreue Frau“ bewundern. Doch während Lyne die Geschichte vom Ehemann, der hinter die Affäre seiner Frau kommt und den Liebhaber im Affekt erschlägt, zunächst aus der Perspektive der Frau erzählt (und damit Diane Lane einen wunderbaren Auftritt verschafft, bei dem sie alle Stadien des Abenteuers von zaghafter Annäherung über kurzzeitiges Glück bis zur immer ungehemmteren Leidenschaft durchspielen darf), schildert Chabrol die Affäre durchgängig vom Gesichtspunkt des Mannes aus – und definiert damit auch die sexuellen Bedürfnisse der Frau (Stéphane Audran) über die Charakterisierung des Gatten als einen eher langweiligen, saturierten Bürger mittleren Alters. Selbigen spielt Michel Bouquet mit der Aura eines verlorenen Kindes – doch wie immer bei Chabrol ist die Routine des bürgerlichen Lebens nur schöner Schein …

„Die untreue Frau“ 7. 12.–8. 12. im Lichtblick

LARS PENNING