weihnachten von FANNY MÜLLER
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Winter! Weihnachten! Übelkeit und Erbrechen! Verschneite Straßen und Plätze! – Moment, „verschneit“ ist gestrichen; schließlich ist in Hamburg nur dann Winter, wenn der Regen kälter wird. Das war nicht immer so und kommt alles von der Umwelt, denn als Kinder zogen wir noch mit Schlitten durch Altona und zockten die Nachbarn ab: „O wie klötert das in mein Butterfass!“ Da gab es Bonbons, Kekse, Fünfzigpfennigstücke. Inzwischen ist „Hassu ma ne Maak“ ja zum saisonunabhängigen Hit geworden, auch wenn es jetzt „fünfzig Cent“ heißt.

Für mich ist jedenfalls in diesem Jahr ein ganz anderes Weihnachten angesagt. Aber was ist denn „ganz was anderes“? War es das Fest, an dem unser Baum brannte und meine Mutter Wörter gebrauchte, von denen sie nachher behauptete, sie gar nicht zu kennen? Oder als mein Großvater – eine Seele, aber geizig wie was – meiner Großmutter ein Riesenpaket überreichte, das, ausgepackt, immer kleinere Kartons zutage förderte, bis zuletzt in einer Zigarrenkiste ein Briefumschlag mit 20 Mark lag?Unvergesslich übrigens auch jener Heilige Abend, an dem meine Schwester zu Hause Haschplätzchen verteilte. Als Erklärung für das eigenartige Aroma gab sie an, ihr sei da zu viel Kardamom reingeraten, und man solle nur ein bis zwei essen, das ginge sonst auf den Kreislauf …

Also, wie soll das kommende Fest nun gestaltet werden – heiter, besinnlich, orgiastisch? Etwa wie vor zwei Jahren, als wir Tango tanzten und dann durch das verschneite Schanzenviertel … „verschneit“ ist wieder gestrichen; zumindest war der weiche Haufen, auf dem Harry ausrutschte, kein Schnee. Und in der Ambulanz in der Stresemannstraße waren die Vibrations sowieso negativ. Mag sein, es lag daran, dass Harry dem Personal zunächst vor die Füße kotzte, um es sodann mit Schiller-Zitaten zu beleidigen. „Das war kein Heldenstück, Octavio!“, schnauzte er den Arzt an, der eine Pinzette hatte fallen lassen, und drohte, als ein anderer Doktor mit der Spritze nahte: „Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt!“ Setzte aber resigniert – wenn auch politisch nicht ganz einwandfrei – hinzu, indem er seine Hinterbacke frei machte: „Mut zeiget auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck!“ Auch ich, die ich nicht den geringsten Anlass dazu gegeben hatte, bekam mein Fett ab: „Teures Weib, gebiete deinen Tränen!“

Mit einem Riesentamtam verließen wir das Ärztehaus – „Auf ins Feld, es geht zum Siege, Krieger, nach Valencia!“ (nicht Schiller) tobte Harry noch auf der Straße. Im Taxifahrer allerdings fand er seinen Meister: „Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo“, ließ dieser verlauten und bugsierte ihn in den Fond, „rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!“ Auch nicht Schiller, glaube ich. Ich selbst verfüge über eine kaum nennenswerte klassische Bildung und halte es mehr mit dem Prediger Salomo, der da spricht (Vers 12,1): „Das sind Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht.“ Und was mir nicht gefällt, das verdränge ich. Und was ich nicht verdrängen kann, das vergesse ich einfach. Weihnachten? Pah!