in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über königliche Obszönität

Bombastrock mit Ball

Warum auch immer, höre ich im Moment gerne Rockmusik, die so richtig bratzt und dröhnt. Am aktuellen Titelblatt des Rolling Stone liegt das nicht, auch wenn dort behauptet wird: „Rock is back!“ Aber das ist ungefähr so, als würde der Kicker verkünden, dass Fußball zurück ist. Rock also wummert aus den Boxen, trotz meiner tief verwurzelten Antipathie, etwa die größten Hits der Manic Street Preachers. „If you tolerate this, your children will be next“. Das ist pathetisches Geheule und richtet sich gegen Faschisten, oder in meinem Fall: Man bastelt sich die Welt halt so, wie es einem gefällt – gegen Real Madrid.

Wobei die Antipathie gegen den Klub aus mir herausbrach, als ich mir die Ramones um die Ohren haute, ihr Doppelalbum „It’s alive“, dieses lange nicht gehörte Meisterwerk des Gehirnamputierten-Rock aus dem fernen Jahr 1978 mit einem Haufen lautem Gedresche und lobotomisierten Botschaften: vom Verlangen nach Schocktherapie über den Blitzkrieg Bop bis zum Verprügeln von Blagen mit Baseballschlägern. Ramones gegen Real Madrid, oder, um es etwas genauer zu sagen, da sich die Ramones als gute Amerikaner wahrscheinlich nicht die Bohne für Fußball interessiert haben: Real Madrid verhält sich zum strunzordinären Fußballklub um die Ecke so, wie Bombastrock vor ungefähr 20 Jahren zu den Ramones. Das ist zwar der Kulturkampf von vorvorgestern, taugt hier aber als Denkhilfe trotzdem.

Real Madrid ist nämlich so prätentiös wie einst das Kunsthandwerk junger Menschen, die plötzlich keinen Krach mehr machen wollten, sondern Rockopern schreiben oder klassische Musik auf Synthesizern reanimieren. Diesen Drang nach Höherem darf Real Madrid am 18. Dezember zum hundertsten Geburtstag ausleben. Am letzten Mittwoch vor Heiligabend soll, so hat der Weltfußballverband gebeten, nirgendwo außerhalb des Estadio Santiago Bernabeu gegen den Ball getreten werden. Alle Beine stehen still, wenn Real Madrid das will. Die Menschen rund um den Globus sollen ihren Atem anhalten, nach Madrid schauen und den größten, glanzvollsten und siegreichsten Klubs ehren, den das schöne Fußballspiel jemals hervorgebracht hat. Und die Versammlung der prominentesten Überläufer unserer Zeit.

Die Mannschaft in den weißen Trikots ist seit langer Hand auf dieses Ereignis hin zusammengekauft worden und musste dazu eine Art Weltauswahl werden. Über Zinedine Zidane soll hier nicht gesprochen werden, der Mönch aus Marseille steht so außerhalb jeder Kritik wie Johnny Cash oder Neil Young. Das gilt jedoch nicht für Luis Figo, der dem Publikum in Barcelona das Herz brach, als er nach Madrid ging und sich dafür fliegende Schweineköpfe einhandelt. Auch nicht besser war Ronaldo, den sie bei Inter Mailand (nun ja, auch nicht gerade die Heimat des Guten und Schönen) durch all seine Verletzungen schleppten, bis er halbwegs gesund die Einwegreise nach Madrid antrat.

Auch sportlich waren diese Angebertransfers fragwürdig. Kaum war die Frage unbeantwortet geblieben, wozu man Zidane braucht, wenn man Figo hat, oder Figo noch braucht, wenn Zidane kommt, wartete man erfolglos auf die Antwort, wozu man Ronaldo braucht wenn man den in Madrid sakrosankten Raúl hat. Und kann man eigentlich ohne Abwehr das beste Team der Galaxie werden? Aber das sind marginale Erörterungen für Klubfürsten in Italien und Spanien, die ihre Teams mit großen Namen so behängen wie ihre Frauen mit Pelzen und Schmuck. FigoZidaneRonaldo ist so, als würde man drei Pelzmäntel anziehen, ob daraus eine Mannschaft wird, ist egal. Oder vielleicht nicht, wenn man sich das Gestolper von Real Madrid anschaut.

So geht Dekadenz, und die kommt bekanntlich vor dem Fall. Oder was machen Emerson, Lake & Palmer heutzutage so? Allerdings ist das Elend der Analogien zwischen Pop und Fußball, dass man im Pop zwar mit auf der Bettkante programmiertem Minimal-Techno oder mit Anti-Folk aus der Dachkammer die Welt verblüffen kann. Im Fußball reicht es nicht, sich Stollen einzuschrauben und das Trikot überzuziehen, um die Ordnung ins Wanken zu bringen. Fußball ist immer Stadionrock. Außer am 18. Dezember, auf der Wiese vor deiner Tür.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 41, liebt Fußball und schreibt darüber