bettina gaus über Fernsehen
: Im toten Winkel

Was war zuerst da bei der Berichterstattung aus Afrika: das Desinteresse oder die Ahnungslosigkeit?

Das mit den Pässen war lustig. Als sich die Welt noch für Somalia interessierte, da kehrte kaum ein ausländischer Journalist ohne ein nagelneues somalisches Reisedokument nach Hause zurück: ausgestellt auf dem größten Markt der Stadt, mit Originalstempeln versehen, gerettet aus den Ruinen der zusammengebrochenen öffentlichen Verwaltung. Die meisten besorgten sich gleich einen – nur unwesentlich teureren – Diplomatenpass. Ein nettes Souvenir. Der Handel lieferte zugleich auch noch ein hübsches Feature-Element für Reportagen.

Heute sind die Ausländer weg, aber neue Pässe gibt es auf dem Markt nach wie vor. Gekauft werden sie jetzt von redlichen Geschäftsleuten, von Pilgern und möglicherweise auch von Terroristen. Die einen haben angesichts der Auflösung ihres Staates keine andere Wahl, für die anderen mag es praktisch sein. Vielleicht. Nach den Anschlägen in Kenia sind einige Somalis festgenommen worden. Sie gelten als verdächtig, weil bei ihnen gefälschte Dokumente gefunden wurden. Für Nachrichtensendungen war die Frage, woher ein somalischer Bürger heutzutage eigentlich einen gültigen Pass bekommen soll, kein Thema.

Seit etwa zehn Jahren glaubt der Rest der Welt, dass es ihm ziemlich gleichgültig sein kann, wenn ein Staat einfach von der Landkarte verschwindet. Zahlreichen Redakteuren des ZDF sind einige Staaten offenbar sogar dann herzlich egal, wenn sie noch existieren. Kenia beispielsweise. „Viele Menschen, vor allem Israelis“ seien den Attentaten dort zum Opfer gefallen, teilt eine ernst dreinblickende Moderatorin am Tag der Anschläge den Zuschauern mit, als sie um 23.08 Uhr auf die nachfolgende Sendung „heute nacht“ hinweist. Zu diesem Zeitpunkt ist ja auch erst seit rund zwölf Stunden bekannt, dass dreimal so viele Kenianer wie Israelis starben.

Am nächsten Tag meldet das „heute journal“, dass Staatspräsident Daniel Arap Moi den Schauplatz des Grauens besucht hat. In Kenia fänden bald Wahlen statt, „deshalb kommt auch der Herausforderer“. Nun ist der im Bild gezeigte Uhuru Kenyatta nicht der Herausforderer, sondern der Wunschkandidat des Präsidenten, dessen Amtszeit aus verfassungsrechtlichen Gründen endet. Aber das macht doch nix. Ist ja weit weg. In einer weiteren Sendung teilt ein Reiseveranstalter mit, dass Touristen nicht mehr so gerne in islamisch regierte Länder fahren. Interessant. Kenia ist allerdings zu 80 Prozent christlich, der Präsident ist es auch, und religiöse Konflikte gibt es dort kaum. Bisher. Im Nachbarland Somalia hat der Islamismus in den letzten Jahren viele Anhänger gewonnen. Kein Wunder, schließlich verspricht er, wenigstens ein bisschen Ordnung in all das Chaos zu bringen. In Kenia gibt es noch immer nicht besonders viele Islamisten, aber immer mehr geschmuggelte Waffen. Vor zehn Jahren war es schwierig, illegal an ein Gewehr oder an Sprengstoff zu kommen. Inzwischen ist es das nicht mehr. Ich wüsste zwar immer noch nicht, wie ich in Nairobi eine Boden-Luft-Rakete besorgen sollte, aber in Somalia ließe sich das ziemlich mühelos organisieren. Der Weg ist nicht weit.

Vielleicht steckt tatsächlich al-Qaida hinter den Anschlägen. Aber wer ist al-Qaida? Jedes Netzwerk braucht lokale Unterstützung. Der Nährboden ist umso gedeihlicher, je größer die Zahl derer ist, die durch Krieg und Waffenhandel etwas zu gewinnen haben und je kleiner die Zahl derjenigen wird, die Hoffnung auf Frieden noch für realistisch halten. Der Zerfall von Somalia droht nun auch Kenia zu destabilisieren. „Why us again?“, mailt ein kenianischer Freund. „Warum schon wieder wir?“ Was für eine naive Frage. Weil sich kaum jemand für euch interessiert und ihr deshalb ein ideales Operationsgebiet für Terroristen bietet. Wie sich bereits 1998 beim Anschlag auf die US-Botschaft im Zentrum von Nairobi zeigte. Damals starben mehr als 200 Kenianer und 12 US-Bürger. Im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit blieben vor allem die amerikanischen Opfer haften.

Interesse bedeutet weder, ein missliebiges Regime mit Bomben zu vertreiben, noch die Entleerung einer gefüllten Brieftasche. Es bedeutet das Bedürfnis, die Umstände vor Ort kennen zu lernen und daraus Schlüsse zu ziehen, wie sich Verhältnisse stabilisieren lassen. Ein mühsames Geschäft, zugegeben. Aber es könnte den Aufwand lohnen. Kleine Hoffungsschimmer gibt es allerdings, sogar im Bereich deutscher Medien: die seriöse Tagespresse und – manche Privatsender. Sat.1 berichtete schon in der Nacht nach den Anschlägen über die Folgen der Attentate auf die kenianische Tourismusindustrie. Und fast alle überregionalen Zeitungen haben irgendwann auch die kenianischen Opfer des Terrors zur Kenntnis genommen. Immerhin.

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