„Weg mit diesem Dogmatismus“

In einem Euro-Memorandum fordern mehr als 250 Ökonomen eine andere Wirtschaftspolitik von der EU

BERLIN taz ■ Der Unmut wächst. Im letzten Jahr unterschrieben 200 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler den Aufruf alternativer Ökonomen zu einer Umorientierung der europäischen Wirtschaftspolitik. Das „Euro-Memorandum 2002“ unterstützen bereits mehr als 250 Ökonomen aus 22 Ländern. Sie konstatieren den „faktischen Zusammenbruch des Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes“ und fordern ein „europäisches Sozialmodell“.

Die Autoren des Memorandums werfen der Europäischen Kommission und dem Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin) „anhaltenden Dogmatismus“ vor. Dieser mache es ihnen unmöglich, die Grundlagen ihrer Politik kritisch zu überprüfen. Stattdessen neigten sie dazu, sich „durch Realitätsverweigerung zu immunisieren“.

So seien die EU-Gremien weder in der Lage, die Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung vorherzusehen noch sie zutreffend zu beurteilen. Von den 2,75 Prozent Wachstum, die die Kommission in ihren „Grundzügen der Wirtschaftspolitik 2001“ angekündigt hatte, seien gerade mal 0,5 bis 1 Prozent übrig geblieben. Trotzdem bestehe sie in ihrem aktuellen Papier 2002 immer noch darauf, dass Europa „unmittelbar vor einem Aufschwung“ stehe. Die alternativen Ökonomen, die schon mit ihrer letztjährigen Einschätzung, dass sich die Krise vertiefe, Recht behielten, sehen dagegen „die reale Gefahr einer deflationären Abwärtsspirale in der Weltwirtschaft“, der die EU nichts entgegenzusetzen habe. Zu diesen düsteren Perspektiven kommt nach Ansicht der Memo-Autoren die zunehmende Ungleichheit innerhalb der Union, die eine echte Gefahr darstelle. Zwar hätten sich die Pro-Kopf-Einkommen zwischen den Staaten etwas angeglichen, dafür seien die Unterschiede aber innerhalb der Länder gestiegen. Warum der EU bislang die Angleichung misslang, halten die Ökonomen für offensichtlich: Neben dem „extrem engen theoretischen Blick“ seien die starren Strukturen und der zu niedrige Gemeinschaftshaushalt verantwortlich.

Hier setzen die Gegenvorschläge an. Die Vision der Gruppe ist ein europäisches Sozialmodell – ähnlich dem, das die EU ursprünglich als „Alternative zu neoliberaler Politik und zur Kopie des amerikanischen Modells mit seinen tiefen Ungleichheiten“ präsentierte. Eckpunkte: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit.

Auf dem Weg dorthin müsse die Wirtschaftspolitik über eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente und des EU-Parlaments demokratisiert und besser koordiniert werden. Zugleich wollen die Ökonomen die Ziele der Europäischen Zentralbank nach dem Vorbild der US-amerikanischen Federal Reserve ebenfalls auf Vollbeschäftigung und nachhaltiges Wachstum ausweiten, enger an das Europäische Parlament und den Rat binden.

Für den Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seiner rigiden Vereinheitlichung der nationalen Fiskalpolitiken sehen sie keine Zukunft. Er müsse umgehend für antizyklische Maßnahmen der nationalen Regierungen gelockert und auf längere Sicht zugunsten einer engen und flexiblen Koordinierung in der Eurogruppe abgeschafft werden.

Die Strukturveränderungen allein reichen den Ökonomen allerdings nicht. Um politisch handlungsfähig zu sein, brauche der Gemeinschaftshaushalt vor allem mehr Geld, meinen sie und schlagen vor, ihn bis 2007 auf ein Niveau von 5Prozent des europäischen BIP zu erhöhen. Realisiert werden könne das über höhere Beiträge der reicheren Mitgliedsländer, eine harmonisierte Börsenumsatzsteuer von 1 Prozent und das eigenständige Recht für die EU, sich etwa über die Ausgabe von Euro-Anleihen zu verschulden.

BEATE WILLMS

www.memo-europe.uni-bremen.de