nebenschauplatz türkei

Schröder zielt auf Koch

Das Thema wird sonst vorwiegend von Fachpolitikern verhandelt: über wie viele Stufen und Jahre sollten sich die Gespräche der EU über einen möglichen Beitritt der Türkei erstrecken? Gestern war der CDU/CSU-Fraktion die Frage so wichtig, dass sie dazu trotz Haushaltsdebatte einen Antrag in den Bundestag einbrachte. Die Kernforderung von CDU und CSU: Die EU müsse sich „Klarheit über ihre Grenzen verschaffen“ – und dürfe der Türkei allenfalls eine Partnerschaft, nicht aber die Mitgliedschaft anbieten. Auch Gerhard Schröder nahm die Türkei gestern so ernst, dass er umfänglich präpariert im Plenum erschien.

Drei Dokumente zog der Bundeskanzler in der Debatte hervor, eine Kohl-Äußerung von 1997, einen Welt-Artikel von CSU-Frontmann Michael Glos aus demselben Jahr sowie eine Pressemitteilung der CSU-Landesgruppe von 1995. Der Tenor war dreimal der gleiche: Die EU müsse der Türkei die Perspektive eines Beitritts anbieten. Das stand zum Vergnügen der Zuhörer auf den Bänken von SPD und Grünen in erkennbarem Widerspruch zu der Rede, die Glos unmittelbar vor Schröder gehalten hatte. „Die Türkei ist weder politisch noch ökonomisch reif für einen Beitritt“, hatte der CSU-Landesgruppenchef da erklärt, ein „Blankoscheck für die Vollmitgliedschaft der Türkei“ würde die EU und Deutschland „teuer zu stehen kommen“. Im übrigen gehöre die Türkei nicht zum europäischen Kulturkreis.

Schröder setzt dagegen darauf, der Türkei auf dem EU-Gipfel kommende Woche in Kopenhagen ein „Datum für ein Datum“ zu nennen, also einen Termin für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Auch wenn der Kanzler den Plan gestern Abend in Brandenburg mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac besprechen wollte, ging es ihm im Bundestag nur bedingt um Außenpolitik.

Die SPD glaubt, dass die Union über den Umweg einer außenpolitischen Frage das Ausländerthema reaktivieren will. CDU-Recke Roland Koch hatte 1999 mit der Anti-Doppelpass-Kampagne Rot-Grün von der Regierung in Hessen vertrieben – und am 2. Februar möchte Koch wiedergewählt werden.

„Sie setzen sich dem Verdacht aus, Ihrem Kollegen in Hessen ein billiges Wahlkampfmanöver verschaffen zu wollen“, warf Schröder darum der versammelten CDU/CSU-Fraktion vor. „Das hat mit Wahlkampf überhaupt nichts zu tun!“, gab die CDU-Hauptrednerin Angela Merkel prompt zurück.

Doch bei der SPD ist man unbeeindruckt – hier traut man inzwischen Roland Koch so gut wie alles Schlimme zu. Zugleich zimmern die Herren Schröder, Müntefering und Verbündete eifrig an der Unterstellung, Angela Merkel sei als Parteivorsitzende von den mächtigen Männern in CDU und CSU umzingelt. Da kommt es der SPD gerade recht, dass selbst in der Union nicht mehr ernsthaft bestritten wird, wer der Urheber des Lügen-Untersuchungsausschusses war: nicht Merkel, sondern Koch.

„Es gibt auch wegen der Türkei eine Absprache zwischen Koch und Stoiber“, meint ein führender Genosse zu wissen. Auch wer den Angreifer geben soll, wollen Sozialdemokraten schon herausgefunden haben: Günter Beckstein, Innenminister im Kabinett Stoiber und im zurückliegenden Bundestagswahlkampf dessen zuverlässigster Wadlbeißer. Gab es denn eine Absprache, so hätte Stoiber seinen Teil bereits erfüllt: Der CSU-Parteitag beschloss vor 14 Tagen die Ablehnung des türkischen EU-Beitritts. PATRIK SCHWARZ