: „Herr B. ist ein einfacher Mann“
Plädoyers im Geschwornenweg-Prozess: Der Staatsanwalt sieht in Baggerfahrer B. den Hauptschuldigen für die Explosion des Seniorenwohnheims, der Verteidiger hingegen greift die swb scharf an und fordert den Freispruch seines Mandanten
Es war ausgerechnet der Verteidiger, der nach 13 Verhandlungstagen vor dem Bremer Landgericht als erster Verfahrensbeteiligter ausführlich auf die Opfer einging: Zu Beginn seines Plädoyers verlas Wolfgang Dierks Namen, Alter und Familienverhältnisse der zwölf Menschen, die bei der Gasexplosion in einem Seniorenhaus der Heilsarmee im November 2000 ums Leben gekommen waren. 22 Personen waren verletzt worden, viele Überlebende verloren ihr Hab und Gut. Während der Verteidiger für den angeklagten 52-jährigen Baggerfahrer gleichwohl Freispruch forderte, verlangte die Staatsanwaltschaft, Klaus-Heinrich B. wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung zu verurteilen.
Neunzig Minuten lang legte sich Dierks ins Zeug, um das Gericht von einem Freispruch zu überzeugen: „Herr B. ist ein einfacher Mann, der sich nicht gewandt ausdrücken kann“, sagte der Anwalt. Es seien immer „kleine Leute“ notwendig, um „die großen Gefahren unserer technisierten Welt im Griff zu behalten“. Nun solle ausgerechnet „das kleinste Rädchen im großen Getriebe“ für das Unglück geradestehen. Dabei gebe es Mitverantwortliche: So habe die swb bereits bei der Verlegung der Gasleitung gepfuscht – das Anschlussrohr sei zu hoch und gebogen im Boden gelegen und zudem nicht normgerecht mit einem T-Stück am Hauseingang verschraubt gewesen. Auch verzichte die swb bewusst auf die Nachrüstung alter Gasleitungen mit „Ausziehsicherungen“ und sei „gar nicht so richtig interessiert an der Aufklärung des Sachverhalts“: Zeitzeugen für die Rohrverlegung 1977 waren angeblich nicht mehr aufzutreiben.
Beim Aufnehmen der Straßendecke lasse es sich nicht vermeiden, „dass man da mal fünf Millimeter tiefer kommt“, sagte Dierks: „Baggern ist kein Uhrmacherhandwerk.“ Der Verteidiger wies auch darauf hin, „dass es hier um viel Geld geht“: Falls B. schuldig gesprochen werde, kämen Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe auf ihn zu.
Staatsanwalt Jörn Hauschild hingegen beharrte auf dem Vorwurf, dass B. zu tief gebaggert habe: „Ab einer Tiefe von 40 Zentimeter hätten Sie mit einer Gasleitung rechnen müssen“, hielt er dem Angeklagten vor. Deswegen sei er „der fahrlässigen Tötung durch aktives Tun“ schuldig. Dass er es nach dem Anheben des Rohrs unterlassen habe, den Vorfall zu melden und so möglicherweise die Explosion noch hätte vermeiden können, sei deshalb für die Schuldfrage nicht mehr relevant. Dennoch sei es „unfassbar“, dass B. einfach weiter gebaggert habe.
Selbst Barbara Kopp, die für die Witwe des damaligen Hausmeisters im Seniorenheim als Nebenklagevertreterin auftrat, gab der swb eine „Mitschuld an dem Unglück“. Gleichwohl habe B. eindeutig seine Sorgfaltspflicht verletzt: „Wir sind alle nur Menschen – aber selbst wenn wir 33 Jahre lang ordentlich unsere Arbeit tun, heißt das nicht, dass wir nicht irgendwann einen Fehler machen.“ Markus Jox
Urteil am 12. Dezember um 11.30 Uhr
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