Eine Dame wird verräumt

Mit Gurten und Spaten: Umzugshelfer vor der grünen Hölle im fünften Obergeschoss

Ärgerlich drücken uns dieStacheln des Mammutblattes an die Wände des Treppenhauses

Wie erscheint uns der Umziehende? Gehetzt, verzweifelt, vor großen Tiefen stehend. Je mehr Besitztümer er sein Eigen nennt, desto schwärzer erscheint ihm die Zukunft. Er klammert sich an den Umzugskarton wie an einen Rettungsring und ist so durch den Wind, dass er ihn falsch zusammenbaut. Hirnlos stopft er LPs und schwere Bildbände hinein, bis drei Mann den Pappklotz kaum verschieben können. Beim Anheben bricht dann der Boden heraus. Und immer gibt es hundert Kartons dieser Art.

Die Dame vor uns, Mittvierzigerin aus dem Management, von privater Trennung und multiplen Töchtern geplagt, verkörpert das Umzugselend in Reinkultur. Ihre großzügigst bemessene Dachwohnung muss geräumt und das Interieur andernorts in weitaus kleinerem Rahmen wieder aufgestellt werden.

Mit Kennerblick taxieren wir die Schwierigkeiten: Eigenbaubettgestelle, die sich nicht zerlegen lassen, Designermöbel, die herkulische Kräfte und beliebig dehnbare Tragearme verlangen, antike Wandspiegel mit Sollbruchstellen. Der Blick aus den Fensterscheiben von Berghofformat lässt aber selbst uns gestandenen Fachmännern das Blut in den Adern stocken: 50 Meter eingetopfter Dschungel ranken sich draußen auf dem luftigen Rundbalkon im fünften Obergeschoss dahin! Wohin denn nur mit euch, all ihr grünen Geschöpfe?

Der zu verräumenden Dame steht Angst im Blick, fahrig gehen ihre Bewegungen. Sie verwechselt das Hier und das Dort, versenkt ihren Schlüsselbund absichts- und erinnerungslos in einer Umzugskiste, so dass langes, nerven- und kistenzerfledderndes Nachsuchen erforderlich wird.

Zwei Tage vergnügen wir uns mit Möbeln, geißeln uns mit Gurten für Spül- und Waschmaschine. Am Zielort taucht das meiste Mobiliar in einen früheren Luftschutzkeller ab, dessen Deckenhöhe einem Zwergenbergwerk angemessen ist.

Je lichter es in den Oberstübchen der auszuräumenden Wohnung wird, desto drohender wächst die grüne Front vor den Fenstern. Schließlich ist es soweit: Widerspenstig stechen uns Palmenfittiche in die Augen, ärgerlich drücken uns die giftigen Stacheln des Mammutblattes an die Seitenwände des engen Treppenhauses. Ein tönerner Riesenbottich zerbricht, weil einer der Träger auf einem saftigen Sukkulenten ausrutscht: 100 Liter Blumenerde stürzen über die Marmorstiege, und Riesenrosmarin steht im Wurzelkleide da … Die drei Meter hohe Fächerpalme muss mit einem Korsett aus Vorhangstangen und Klebeband für den Transport verschlankt werden. An die Sackkarre geschnallt, wird der Bottich über die Hintertreppe in die Tiefe geschickt – Stufe für Stufe kämpfen ein Kollege und ich gegen Ohnmacht und Zerquetschtwerden. Schweißtropfen fallen wie tropischer Regen, während Fiederblattwerk am Rauhputz der Decke scheuert und der Aufprall des Erdbassins dünne Wände erschüttern lässt.

Stunden später hat der Rachen des Umzugsmobils die grüne Ladung geschluckt. Flugs ist sie verfrachtet. Doch mürrisch stauen sich die Gewächse nun in einem tristen Hinterhof. Ihre bald vollends kopflose Herrin hat eine schwere Entscheidung über ihren Verbleib gefällt: In Ermangelung eines Balkons sollen sie hier, auf dem Grunde dieses dunklen Schachts künftig ihr Dasein fristen! Dem Kollegen und mir, die wir wohl grüne Händchen haben, obliegt das Eingraben der Pfleglinge am nächsten Tag.

Der Hausmeister – erfreut über die Biomassenspende – verköstigt uns mit selbst gebackenem Pflaumenkuchen, der vorzüglich genug ist, um die Tristesse für Minuten zu verdrängen.

Etwa dreihundert Löcher wollen gegraben sein, darunter eines für die Fächerpalme: anderthalb Meter Durchmesser und einen Meter tief! Krachend schlagen unsere Spaten in die Schlacke von 1945, und tun dies noch unter Flutlicht. Die Dame hat längst abgedreht, so dass uns ein Trinkgeld verwehrt bleibt. Selig indessen bewässert der Hausmeister seine unverhofft gewachsene Oase. – Der eigentliche Umzug findet im Kopf statt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Madame, nachdem der physische Teil ihres Umtopfens vorüber ist, in einer Klinik landet, in der man sich nach wie vor bemüht, ihre psychische Entwurzelung zu verhindern.

Wohl wahr: Der Umzugshel- fer ist der Sargträger der Nachhaltigkeit. Aber er ist auch ein Wegbereiter des Neuen!

TOM WOLF