„Nur die Emo zählt“

Wann ist ein Lied ein Hit? A&R Manager wie Daniel Pieper basteln am perfekten Pop-Erfolg

Interview THILO KNOTT

Daniel Pieper, 35, ist seit Juli 2002 A&R (Artist & Repertoire) Manager Pop beim Universal-Label Polydor. Er betreut Interpreten wie Brosis, Pierre, Privat, Fool’s Garden. Und Senait, die gemeinsame Kandidatin von taz und Polydor beim Grand Prix Eurovision 2003.

taz.mag: Herr Pieper, was ist Ihr Job als A&R Manager bei Polydor?

Daniel Pieper: Ich bin zuständig für einen bestimmten Künstlerstamm im Bereich Pop und den dazugehörigen Katalog. Für Künstler also, die bei Polydor unter Vertrag stehen, aber auch dafür, neue Künstler zu finden, die wir unter Vertrag nehmen wollen. Neue Künstler schaffen und die Pflege des Katalogs – das ist mein Job.

Welche Bands, Sängerinnen, Gruppen betreuen Sie?

Ich bin zuständig zum Beispiel für James Last und Brosis.

Der große James Last!

Genau. Mit dem plane ich ein ganz interessantes Projekt mit bekannten nationalen und internationalen Gästen. Das meine ich mit Katalogpflege. Denn James Last ist über vierzig Jahre bei Polydor und hat in der Zeit weit mehr als zweihundert Platten gemacht, ist also eine lebende Legende. Und den jetzt noch mal zu aktivieren, dass der noch etwas erreicht, das verstehe ich unter Katalogpflege. Wenn ich es schaffe, ihn noch einmal in die Top Ten zu bringen, was nun seit zehn Jahren nicht mehr funktioniert hat, dann wirft das wieder ein Licht auf sein Gesamtwerk.

Wie bringt man das unter einen Hut – Brosis, James Last? Ist ja nicht gerade aus einem Guss …

Das ist erst mal alles Popmusik. Pop kann vieles sein, weil vielfältige Zielgruppen vieles populär finden. Und das ist das Interessante: Mich um beides zu kümmern – James Last für die Älteren, Brosis für die Jüngeren. Die Herausforderung besteht darin, zu erkunden: Was wollen die Menschen hören? Ich muss sagen können, was morgen ein Trend sein könnte in der Popbranche.

Wie genau funktioniert Scouting? Deutschland sucht momentan auf RTL den Superstar – ist das ein Weg, gute Künstler hervorzubringen? Oder geht man ganz traditionell in die Clubs und hört sich Bands an?

Brosis oder die No Angels wurden tatsächlich über das Pop-Star-Casting entdeckt. Das ist ein Weg, gleich eine Plattform auch im Fernsehen zu haben, um den Act an den Mann zu bringen. Auf der anderen Seite gehe ich natürlich in Klubs, um mir einen Künstler anzuschauen. Und dann höre ich stundenlang Demobänder an, die ich täglich zugesandt bekomme. Da allerdings ist die Trefferquote relativ gering. Natürlich klopfen auch Produzenten an und stellen mir einen neuen Künstler, neuen Songwriter vor. Da ist schon eher mal was dabei. Und es muss immer die Chance haben, populär zu werden.

Populär ist allerdings mitunter sehr kurzlebig. Was bedeutet denn Kontinuität in der Musikbranche?

James Last ist Kontinuität.

Und Brosis funktionieren höchstens fünf Jahre, weil sie dann nicht mehr als Boygroup taugen?

Das wissen wir noch nicht. Brosis kommt jetzt ins zweite Jahr. Mit mehreren Top-Ten-Hits ist die Boy-Girl-Group auf dem Weg, ein langfristig etablierter Act zu sein. Ob sich Boygroups oder Girlgroups auflösen, hängt von verschiedenen Faktoren ab wie natürlich Alter oder Zwist. Entweder sie lösen sich auf, oder die Personen werden ausgetauscht. Aus Take That ist Robbie Williams hervorgegangen – kein schlechtes Ergebnis.

Robbie Williams ist aber doch die absolute Ausnahme!

Nein, das ist die logische Entwicklung einer möglichen Popmusikerkarriere. Das Publikum trennt die Spreu vom Weizen. Die kaufen oder kaufen es eben nicht. Give the people what they want – das ist das Wichtigste.

Sie machen reinen Kommerz – und keine Kunst?

Ach, das sind für mich Schimpfwörter. Was zählt, ist die Emo, sind die Emotionen. Musik muss mir was geben. Ob die Musik auf hohem Niveau gemacht ist, ob die Musiker gut ausgebildet sind – das zählt für mich nicht. Brosis ist nicht die Begleitband von Carlos Santana. Aber sie bringen offensichtlich das Gefühl ihrer Generation auf den Punkt.

Mit wie vielen Künstlern Ihres Hauses machen Sie wirklich Geld?

Polydor gehörte in den vergangenen Jahren zu den erfolgreichsten Labels in Deutschland und hat mit nationalen Acts mehrfach Gold verkauft. Aber gleichzeitig muss Polydor viel Geduld in neue Interpreten investieren, um den Katalog von morgen zu schaffen. Brosis oder No Angels sind die absoluten Ausnahmen! Es ist nämlich nicht so, dass jemand aus dem Off kommt und sofort den Superhit landet.

Was sind die Bestandteile eines Hits?

Etwas, was wir nicht vergessen können: Die Emotion und die unverwechselbare Melodie, die du nach einem Mal Hören sofort im Kopf hast und die du noch nach zehn- oder zwanzigmal Hören immer noch gerne hörst – das sind die Bestandteile eines Hits. Natürlich gibt es auch schnell drehende Hits, die in die Charts kommen, aber schnell total auf den Geist gehen können.

Las Ketchup ist nach zehnmal Hören nur noch auf Mallorca nicht langweilig?

Wenn man kein emotionales Verhältnis dazu hat, ja. Freude, Ausspannen, Sonne, Feiern – das wäre das emotionale Verhältnis zu Las Ketchup. Die Leute haben diesen Song ja auch gekauft, als sie von Mallorca wieder nach Deutschland gekommen sind – fast wie ein Mitbringsel. Und nicht, als sie dort gefeiert haben.

Hat man mit dem Thema Liebe die besten Chancen, einen Hit zu landen?

Es geht immer um Liebe, um Beziehung, um Gefühl, um Trauer, um Schmerz. Von allem ein bisschen – das ist der gute Mix. „Mensch“ von Herbert Grönemeyer erfüllt das. Ich glaube allerdings grundsätzlich, dass in ihrem Grundton negative Lieder seltener eine Chance haben, ein Hit zu werden. Es gibt ganz wenige Beispiele dafür – in der Punk- und New-Wave-Ära gab’s ein paar Nummern. Von Selbstmordwünschen geplagte Künstler wie Kurt Cobain. Aber selbst von The Cure war der Hit „Lullaby“ – und nicht „A Forrest“.

Also will man beim Musikhören nicht unbedingt vom Alltag erzählt bekommen.

Wenn man es poetisch genug verpackt, will man vielleicht auch alltägliche Dinge hören. Im Pop geht’s aber eher um Träume, Hoffnung und Sehnsüchte. Eines gilt immer: Hits sind Hits, wenn du sie zum ersten Mal hörst. Egal ob traurig, egal ob positiv: Ein Hit ist ein Hit. „Daylight“ von den No Angels – die Urversion ist zum Weglaufen, die kann man nicht ertragen. Aber man hört trotzdem: Boah, das ist ein Hit! Weil du die Melodie (singt) „Daylight in your eyes …“ schon nach dem ersten Hören nicht vergessen kannst.

Was raten Sie den Autoren des taz-Textwettbewerbs?

Senait ist die Künstlerin – es geht um sie und ihre Welt. Also würde ich sagen, man muss eine Botschaft haben, die zu einem positiven Ergebnis führt. Gib mir einen Lösungsansatz! Liebesschmerz, Sehnsucht, Eifersucht – das kann man alles machen. Aber am Ende muss der Text eine sensationelle Wendung nehmen, einen Lichtblick am Ende des Tunnels haben. Aber um es richtig kommerziell zu halten: Sag mir etwas Positives! Und sag’s mir so, wie ich es noch nie gehört habe!