Zwischenfall ohne Folgen

Ein Jahr nach dem tödlichen Brechmitteleinsatz ist immer noch ungeklärt, woran Achidi John starb. Das UKE hat mittlerweile für diese „Beweissicherung“ einen extra Behandlungraum. Sogar Jugendlichen wird der Sirup zwangsweise verabreicht

von ELKE SPANNER

Ein Jahr später tut man im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE), als ob es den Tod von Achidi John nie gegeben hätte. Fast zweihundert Mal wurde mutmaßlichen Drogendealern Brechmittel verabreicht, seit der 19-jährige Nigerianer am 12. Dezember 2001 daran starb. Der mexikanische Sirup wird nach wie vor auch unter Gewalt über eine Nasensonde eingeflößt, obwohl bisher nicht geklärt ist, wie genau Achidi John bei dieser Zwangsbehandlung ums Leben kam. Wie schon damals stehen auch heute keine AnästhesistInnen für Notfälle bereit.

Es gibt nur eine Neuerung: Die „Beweismittelsicherung“ wird mittlerweile am Rechtsmedizinischen Institut in einem eigens dafür hergerichteten Raum durchgeführt – „ohne Quasi-Öffentlichkeit“, wie es der Senat beschrieb, als er im September 50.000 Euro für dieses abgeschottete Behandlungszimmer zur Verfügung stellte.

Allein seit Ende August dieses Jahres, das ergab eine aktuelle Senatsanfrage der GAL-Fraktion, wurden 31 angebliche Drogen- dealer von der Polizei im Rechtsmedizinischen Institut des UKE vorgeführt. In einem Drittel aller Fälle blieb der Brechmitteleinsatz ohne Erfolg, der Tatverdächtige spuckte keine Drogen aus. Drei Mal wurde der Sirup über eine Nasensonde in den Magen gepumpt – am 18. Oktober bei einem 16-jährigen Jugendlichen aus Guinea. Bei keinem der drei Fälle war ein Anästhesist vor Ort – obwohl die einzige Konsequenz aus dem Tod von Achidi John eine Dienstanweisung des ärztlichen Direktors des UKE war, dass bei Zwangseinsätzen ein Notfallteam vor Ort sein müsse. Seit Juli 2002 ist die Anweisung außer Kraft.

In der Antwort auf die GAL-Anfrage betont der Senat, dass es seit dem Tod von Achidi John bei keinem Brechmitteleinsatz mehr zu Komplikationen gekommen sei. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 19-Jährige einen Herzfehler hatte, der zum Tod geführt habe. Ein Ermittler dementierte gestern gegenüber der taz Presseberichte der vergangenen Tage, dass die Ärztin Ute L. bei einem der insgesamt drei Versuche, die Magensonde einzuführen, die Lunge verletzt habe.

Die AnwältInnen der Eltern des Verstorbenen aber bezweifeln, dass Achidi John an einem Herzfehler gestorben ist. Die drei medizinischen Berichte über den Fall enthielten nur Mutmaßungen, so Rechtsanwalt Martin Klingner: „Wie der Tod letztlich eingetreten ist, steht in keinem der Gutachten.“ Gegen die Erklärung durch den Herzfehler spreche vor allem, dass das Herz des Nigerianers nach der Reanimation wieder problemlos funktionierte. Die Reanimation selbst aber, so der Vorwurf des Anwaltes, sei viel zu spät und nicht fachgerecht erfolgt: „Die verantwortliche Ärztin hat Warnsignale ignoriert“.

Um die Todesursache zu klären, müssten laut Klingner alle SanitäterInnen und ÄrztInnen befragt werden, die am Brechmitteleinsatz und der späteren Reanimation beteiligt waren. Das hat die Staatsanwaltschaft nie getan, weil sie gar keine strafrechtlichen Ermittlungen geführt hat. Ein so genanntes Vorermittlungsverfahren haben die Ermittler im Sommer eingestellt, weil sich kein Anhaltspunkt für falsches Verhalten der beteiligten ÄrztInnen ergeben habe. Klingners Büro hat gegen die Einstellung Beschwerde eingelegt. Denn selbst wenn Achidi John einen Herzfehler hatte, so der Anwalt, „hat die Ärztin, die die Nasensonde legte, naturwissenschaftlich gesehen die letzte Todesursache gesetzt“.