Die Geschichte der Rabatzmarkenkleber in zwölf Bildern

Wie es dereinst zu einem großen Rabatz kommen sollte, und was vorher und nachher geschah. Illustriert von Anna Zimmermann

Im Januar wurde an die Polizeibehörde ein Schreiben gerichtet: „Liebe Polizei! Wir wollen schön bitten, mehr in die Schnapsläden zu sehen, da unsere Männer Albin, Alfred, Alois und Albert das ganze Geld versaufen und Rabatz machen. Wenn Sie nicht eingreifen, müssen wir zu Hause hungern. Achtungsvoll: mehrere Frauen.“ Die Polizei befragte die Männer. Diese stritten alles ab. Seither werden sie geheißen „die Rabatzmarkenkleber“.

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Nachmittags im Februar stürzte der Wagen um, in dem die Rabatzmarkenkleber das Land bereisten. Sie stürzten in den Teich und verschwanden im ziemlich tiefen Wasser. Den herbeigeeilten Leuten gelang es, sie aus dem Wasser zu ziehen. Zweien hatte der Unfall nicht weiter geschadet. Für die beiden anderen war auch keine ernste Gefahr vorhanden gewesen. Die Kathedrale hatte vor ihrer Erneuerung im März drei Emporen. Diese waren aber nicht mit Holz verkleidet, so dass von der Empore über dem Altar, wo die Rabatzmarkenkleber beteten, die Stiefel durch die Brüstung ins Kirchenschiff schauten. Daher hatte diese Empore die humoristische Bezeichnung „der Schuhmarkt“.

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Die Rabatzmarkenkleber wollten im April eine Oper aufführen: „Der Streik der katholischen Lokführer“. Es erschien aber nur eine Person, die sich als Direktor vorstellte und einen Vortrag hielt. Die anderen Rabatzmarkenkleber standen hinter der Bühne und verhielten sich still. Die Rede dauerte drei Stunden. Als das Publikum Rabatz machte und sein Eintrittsgeld zurückverlangte, machten sich die Rabatzmarkenkleber damit aus dem Staub.

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Zu einem großen Frühjahrsrabatz kam es im Mai. Wie sich hinterher herausstellte, waren die Rabatzmarkenkleber aber gar nicht mit von der Partie. Im Juni lag ein lebloser Hund im Wagen der Rabatzmarkenkleber. Nachdem das Tier selbst auf starken Rabatz nicht reagiert hatte, wurde in der Umgebung über Lautsprecher fieberhaft nach den Rabatzmarkenklebern gesucht. Da sich niemand meldete, rief man Polizei und Feuerwehr herbei. Doch da hätten nicht einmal Wiederbelebungsversuche genützt: Der Hund entpuppte sich als Plüschtier.

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Im Juli versprachen die Rabatzmarkenkleber endlich allen einen großen Rabatz. Eine spitze Rakete sollte von der Festwiese aus starten. An alles wurde gedacht: Getränke, Würste, Musik und Wimpelchen. Nur die Startfahne wurde vergessen. Da wussten die Rabatzmarkenkleber nicht mehr weiter und gaben über Lautsprecher bekannt, die Startfahne sei vergessen worden. Das hielten die Schaulustigen jedoch für einen schlechten Scherz. Erst als am nächsten Morgen die Würste kalt wurden, liefen die Leute mit großer Wut nach Hause. Und Albin lief zu den Rabattmarkenklebern über.

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Der abtrünnige Rabatzmarkenkleber Albin hielt sich zwei Gänse. Aber er hatte Angst, dass seine Exkollegen sie ihm stehlen könnten. Deshalb hatte er hinter der Stalltür einen Bottich mit Wasser hingestellt. Doch die Rabatzmarkenkleber dachten gar nicht an Diebstahl. Als Albin im August nach den Gänsen sehen wollte, tastete er sich in den Stall, fiel in den Wasserbottich und ertrank.

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Im September kam der Rabatzmarkenkleber Alfred zum Metzger und bat ihn, gleich mitzukommen. Seine Ziege hatte am Tisch, auf den Hinterbeinen stehend, aufgepasst, wie ihm Albert und Alois Rabatzmarken zuteilten, und mehrere unbeaufsichtigte Marken sofort weggefressen. Das Tier musste sein Leben lassen. Der Metzger förderte von zwei Marken deutlich erkennbare Stücke zutage, so dass Ersatz geleistet werden konnte, die Stücke der anderen Marken sind nicht ersatzfähig gewesen. Da starb Alfred vor Kummer.

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Der Rabatzmarkenkleber Albert aus Oberlauterbach wurde in Oberlauterbach geboren. Im Oktober heiratete der 90-Jährige zum zweiten Mal. Die Frau war 50 Jahre alt und 40 Jahre jünger als er. Albert, der Rabatzmarkenkleber, lebte noch elf Jahre glücklich mit ihr zusammen, dann starb er und wurde begraben.

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Im November wurde der letzte Rabatzmarkenkleber Alois des Rabatzmachens müde. Das erboste die Musikanten, und sie schworen Rache. Kurz vor seinem Aufbruch klagte er über den schlechten Nachgeschmack des Bieres. Da erschien ein Musikant und verlangte sein Federmesser zurück. „Welches Federmesser denn?“ – „Was wir dir ins Bierglas geworfen haben.“ Da staunte der Rabatzmarkenkleber. Das Federmesser musste operativ entfernt werden. Aber aus Gram, weil die Krankenkasse die Operationskosten nicht zahlen wollte, verstarb der letzte Rabatzmarkenkleber und mit ihm das Goldene Zeitalter der Rabatzmacherei.

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Im Dezember wurde über Lautsprecher bekannt gegeben: „Achtung! Die Rabatzmarkenkleber bereisen wieder in großer Zahl unser Land!“ Die Leute spannten Ketten über die Straße und hoben Gruben aus. Das erste Auto wurde angehalten und die Insassen wurden kräftig verhauen. Bald stellte sich heraus, dass dies gar keine Rabatzmarkenkleber waren. Die Leute kamen aus dem Nachbarort und dachten, die Rabatzmarkenkleber hätten die Ketten gespannt und die Gruben ausgehoben und wollten Rabatz machen. Pech für beide Seiten, denn die Rabatzmarkenkleber waren ja längst ausgestorben. MICHAEL RUDOLF