ulrike winkelmann über Golf
: Barmherzigkeit taugt nichts

Welchen Bettlern man wie viel gibt, ist ein ungelöstes Problem – dabei sind sie heutzutage meist Polizisten

In London, wo traditionell große Angst vor Terroristen herrscht, werden Polizisten jetzt als Penner verkleidet über die Innenstadt verteilt, um verdächtige Personen zu beobachten. Sie haben verfluste Mischlingshunde bei sich, die Sprengstoff erschnüffeln können. Wenn sie Sprengstoff riechen, geraten sie jedoch nicht etwa in Rage, sondern geben ihrem Penner-Polizisten ein geheimes Zeichen, der daraufhin die Verfolgung aufnimmt. Leider habe ich diese Nachricht nicht offiziell bestätigt bekommen und muss sie der seriösen Zeitung, der ich sie entnommen habe, einfach mal glauben.

Man sollte sich jetzt also die wenigen Penner, die in der Londoner Innenstadt überhaupt noch übrig sind, besonders gründlich anschauen. Ist keiner von ihnen mehr echt? Hat die Regierung eines Nachts die letzten drei im Handstreich einsammeln und auf die Stadtränder verteilen lassen und geheimdienstliche Doubles in die U-Bahn-Eingänge gesetzt? Müssen sie sich gegenüber den Bodentruppen der privaten Sicherheitsdienste zu erkennen geben? Ein glaubwürdiger Penner muss auch betteln, traditionellerweise mit einem Styroporbecher, den er vor dem kaum noch behaarten Bauch seiner apathischen Hündin abstellt, die er dauerkrault, um die hundenärrischen BritInnen für sich einzunehmen. Im 20-Sekunden-Takt fragt er nach Kleingeld. „Entschuldigen Sie, sind Sie gerade aktiv im Kampf gegen den Terror?“ wäre darauf nun eine hübsche Gegenfrage, um den Zweck einer Kleingeldspende heraus- beziehungsweise erst einmal festzustellen. Leider habe ich mich das noch nicht getraut.

Auf jeden Fall aber hat mich die Nachricht wieder einmal in verwirrende Unsicherheit darüber gestürzt, ob man Bettlern Geld geben soll und, wenn ja, jedem? Und wenn nicht jedem, welchem? Zu den objektiven Kriterien gehört sicherlich das Erscheinungsbild des Bettlers sowie seine Fähigkeit, mit mir zu kommunizieren: Blick, Sprache, eventuell Gestik und Körperhaltung. Zu den subjektiven gehört: ob ich Kleingeld habe und mich in meiner Unterhaltung unterbrechen lassen möchte. Ich muss gestehen, dass ich dazu neige, diejenigen zu belohnen, die noch zu gepflegtem menschlichem Kontakt fähig sind, vielleicht sogar eine Form von Humor aufweisen, typischerweise, indem sie viel mehr Geld verlangen, als man ihnen je geben würde. Ist das fair? Sollte man nicht – vorausgesetzt, Barmherzigkeit ist mein Motiv – statt der Fittesten diejenigen bedenken, die keine Schlüsselqualifikationen aufweisen? Und wie gehe ich damit um, dass natürlich auch die zur Artikulation fähigen Bettler mit meinem Geld nichts anderes machen, als Drogen zu kaufen?

Barmherzigkeit, habe ich herausgefunden, taugt sowieso nichts. Sie sieht keinen Verteilungsmodus vor. Außerdem habe ich den Eindruck, dass, rein statistisch gesehen, Mitleid selten etwas mit Spendenwilligkeit zu tun hat. Als ich einmal nachts um zwei noch in meinem Zimmer saß und, schon im Schlafanzug, in Dingen herumwühlte, klingelte es. Ein sehr gehetzter und ungepflegter Mann Ende zwanzig kam die Treppe hoch und redete wie ein Wasserfall, dass er erstens Hilfe brauche, zweitens aber fünfzig Mark für ein Taxi zum Krankenhaus. Umstandslos lehnte er sich mit einem sehr blutigen Arm an unsere Flurwand beziehungsweise wollte dies gerade tun, wenn ich ihn nicht erschrocken in die Küche gescheucht hätte, damit er wenigstens in die Spüle tropfte. Er sei hingefallen und brauche Geld und, nein, keinen Krankenwagen, sondern Geld, und er würde es mir sicher zurückgeben, er wohne gleich die Straße runter. „Oh, er ist auf schweren, illegalen Drogen“, dachte ich, und der Arm sah böse aus, aber was tun? Meine Versuche, ihm dringend zu einem Krankenwagen zu raten, blieben im Ansatz stecken, da er nicht aufhörte zu reden und nun schon wieder den Fußboden voll blutete, weil er so hektisch durch die Wohnung lief. Es gelang mir, ihn auf zwanzig Mark herunterzuhandeln.

Das war meine größte Einzelspende an das unorganisierte Bettlertum bislang. Seither habe ich beschlossen, dass es blöd ist, den Leuten am meisten zu schenken, die am direktesten drum bitten. Es bleibt mir offenbar nichts anderes übrig, als mein Geld vollkommen willkürlich in der Gegend zu verteilen, und, um mein schlechtes Gewissen halbwegs zu beschwichtigen, immer gleich viel in die Becher zu werfen. Ich glaube, es käme mir sehr entgegen, wenn endlich eine Bettlerunterstützungs-Steuer eingeführt würde. Der Staat hat mehr Erfahrung damit, Verteilungsungerechtigkeit zu verschleiern. Sichergestellt werden müsste bloß, dass die Mittel nicht in den Kampf gegen den Terror umgeleitet werden.

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