Rot-Grün Berlin als Sündenbock

Heute beginnt die dreitägige Debatte der Bürgerschaft über den Haushalt 2003. Der Rechtssenat betreibt weiter Sozialabbau und gibt die Schuld dafür der Bundesregierung. Die Opposition von SPD und GAL tut sich schwer mit Gegenargumenten

Für Finanzsenator Wolfgang Peiner ist Rot-Grün im Bund angesichts der leeren Kassen „nicht Opfer, sondern Täter“SPD-Fraktionschef Grund sagt: „Der Rechtssenat grenzt Menschen aus, selektiert sie und schiebt sie weg“

von PETER AHRENS

Das Wort, das in dieser Woche am häufigsten in der Bürgerschaft fallen wird, heißt „Berlin“. Das vermutet zumindest SPD-Fraktionschef Uwe Grund, und er dürfte damit Recht behalten. Wenn die Bürgerschaft ab heute drei Tage lang den 9,5 Milliarden Euro umfassenden Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg für das Jahr 2003 diskutiert und letztlich verabschiedet, dann wirft die Bundespolitik ihre langen Schatten. Die Senatsparteien werden alles versuchen, die dramatische Finanzsituation der Stadt ausschließlich mit bundespolitischen, und das heißt rot-grünen, Versäumnissen in der Steuerpolitik zu erklären.

Argumente, die die Opposition von SPD und GAL in eine natürliche Defensivposition bringen werden. Denn tatsächlich muss auch Rot-Grün einräumen, dass die finanzpolitischen Spielräume der Länder so eng sind wie selten zuvor. Die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis treiben Senat und Opposition dann wieder weit auseinander: Während SPD und GAL das Heil Hamburgs damit verknüpfen, die Steuerpläne des Bundes abzusegnen, sieht Schwarz-Schill genau darin die Ursache der Misere.

„Der Bund ist bei den Steuerausfällen nicht Opfer, sondern Täter“, gibt Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) seit Wochen die Richtung vor. Steuererhöhungen seien das „falsche Signal“. Sein Parteifreund aus dem Wirtschaftsressort, Gunnar Uldall, sieht den Start der Regierung Schröder als „Desaster“. Dieser Tenor wird sich durch die Debatten ziehen.

CDU, FDP und Schill-Partei haben schon die vergangenen Bürgerschaftssitzungen intensiv zur Schuldverschiebung Richtung Berlin genutzt. Die täglichen Negativmeldungen über das Hickhack in der Bundesregierung um die Steuerpolitik „macht es der Gegenseite natürlich auch leicht“, sagt Grund.

Trotzdem setzen SPD und GAL fest auf die bundespolitischen Vorgaben und sind auch überzeugt, dass der Widerstand der Union nichts anderes ist als Wahlkampffutter für die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar. Danach werde die CDU „langsam, aber vorsichtig beidrehen“, prognostiziert der Fraktionschef.

Denn, so die Rechnung des sozialdemokratischen Vorsitzenden des Haushaltsaussschusses, Walter Zuckerer, Hamburg würde steuerliche Mehreinnahmen von je 360 Millionen Euro in 2004 und 2005 erwarten, wenn die Steuerpolitik des Bundes griffe. Einnahmen, die vor allem aus der dann wieder geänderten Regelung zur Körperschaftssteuer fließen würden.

Ausgerechnet Rot-Grün hatte in der vergangenen Legislaturperiode mit der Reform der Unternehmenssteuern dafür gesorgt, dass Großkonzerne fast keine Steuern mehr abführen müssen. Dass dies die Hauptursache für die dramatischen fiskalischen Ausfälle Hamburgs ist, ist mittlerweile unumstritten. Während alle Welt zurzeit über vermeintlich zu hohe Steuerlasten klagt, weist GAL-Haushaltsspolitiker Willfried Maier daher auch darauf hin, dass „noch nie in Deutschland so wenig Steuern gezahlt werden wie zurzeit“. Auch daran ist die versiegte Körperschaftssteuer schuld. Und selbst Peiner hat wiederholt gefordert, dass sie wieder sprudeln muss.

Es ist aber nicht nur Berlin, das den Sozialdemokraten momentan die Attacke auf den Senat erschwert. CDU, FDP und Schill-Partei tun sich zudem leicht damit, nach wie vor darauf hinzuweisen, den Haushalt mit einer immensen Schuldenlast übernommen zu haben. Das Argument der Erblast zählt auch ein Jahr nach Regierungsübernahme noch: Vor allem zu Beginn der 90er Jahre haben die SPD-geführten Senate unter Bürgermeister Henning Voscherau – wie übrigens allerdings die meisten Landesregierungen gleich welcher Coleur– alle wichtigen Investitionen über Kredite finanziert und die Neuverschuldung damit in die Höhe getrieben. Dies fällt ihnen jetzt argumentativ auf die Füße. Uwe Grund kann heute nur darauf hinweisen, dass „diese Form der Finanzierung zwischen den Parteien damals nie umstritten war“.

Dazu kommt, dass die sozialdemokratische Strategie, zwar einen Sparkurs anzumahnen, sich aber selbst der Nennung konkreter Sparvorschläge zu verweigern, in der Außendarstellung verheerend wirkt. So muss man als BeobachterIn zwangsläufig den Eindruck haben: Entweder weiß die SPD in Wahrheit gar nicht, wo man noch sparen könnte, oder sie will es nicht verraten, weil sie damit einen Teil ihrer Klientel vor den Kopf stoßen würde. Im Rathaus geht schließlich jedeR davon aus, dass auch die SPD bei Arbeitsmarkt- und Sozialprojekten gekürzt hätte, wenn sie an der Macht geblieben wäre.

Und der SPD-Antrag zur Inneren Sicherheit, maßgeblich geprägt von Innenpolitiker Michael Neumann, nähert sich stark an Law-and-Order-Positionen an: Geschlossene Heime und Brechmitteleinsätze sind in der Partei keine Themen mehr, für die GegnerInnen dieser Maßnahmen noch eine Mehrheit finden. Da hat der Landesvorsitzende Olaf Scholz ganze Arbeit geleistet.

All dies verdeckt, dass der Senat die schlechte Finanzlage vor allem dazu nutzt, den Sozialabbau weiter voranzutreiben. Die Behörden für Soziales und Arbeit sind wieder einmal die Ressorts, die am kräftigsten gestutzt werden. Die öffentliche Arbeitsmarktpolitik wird von Uldall in Zusammenspiel mit der Bundesanstalt für Arbeit quasi zu Grabe getragen: Der Wirtschaftssenator, unbeeindruckt von den hohen Arbeitslosenzahlen in Hamburg, macht überhaupt keinen Hehl daraus, dass er den Beschäftigungsträgern keine große Zukunft mehr gibt.

Den Schraubstock setzt der Senat 2003 auch besonders stark bei den Bezirken an: Beratungsangebote zu Renten oder Erziehung werden zusammengelegt oder gestrichen, Projekte der Jugendarbeit fallen weg. „Der Senat grenzt Menschen aus, selektiert, schiebt weg“, nennt Grund das.

75 Millionen Euro soll das an Einsparungen bringen, angesichts der gewaltigen Schuldenlast – der Senat nimmt allein im nächsten Jahr wieder 800 Millionen Euro an Krediten auf – sind dies Peanuts. Da auf das Anspringen der Konjunktur noch mindestens ein halbes Jahr gewartet werden muss, ist Entlastung von dieser Seite kurz- und mittelfristig auch nicht zu erwarten.

Die Instrumente, die Schwarz-Schill einfallen, sind wenig innovativ. So greift der Rechtssenat entgegen aller vorherigen Planung nun doch zum Mittel des Verkaufs von öffentlichem Vermögen, um die sich auftuenden Löcher halbwegs zu stopfen. Eigentlich sollte der Erlös aus dem Versilbern öffentlicher Unternehmen dazu verwendet werden, die Verschuldung zu senken und damit Zinsen zu sparen. Jetzt läuft es aber anders: Die Rücklagen aus dem Verkauf der HEW- und Flughafenanteile sind zu Gutteilen bereits im laufenden Haushalt verschwunden. Über die Verkäufe von Wasserwerken, Stadtentwässerung, Landesbetrieb Krankenhäuser oder Hafen- und Lagerhausgesellschaft HHLA wird heftig spekuliert.

Sozialkürzungen, Abwürgen der Beschäftigungspolitik, finanzielle Abstriche bei der als Schwerpunktbereich deklarierten Bildungspolitik – Angriffspunkte auf diesen Haushalt gibt es genug. Nicht nur wegen, sondern auch trotz Berlin.