Zum Schutz des Sozialismus

Der Kampf gegen den „heidnischen Spuk und christlichen Mummenschanz“

Es handelt sich um eine graue Mappe mit dem Aktenzeichen WFV-1411/61/b-1

Hohe Wellen schlägt zz. ein spektakulärer Fund, den Mitarbeiter der Birthler-Behörde beim Ausmisten im Keller des Hauses gemacht haben. Es handelt sich um eine graue Mappe mit dem Aktenzeichen WFV-1411/61/b-1 und dem schlichten Titel „Verordnung zum Schutz des Sozialismus vor heidnischem Spuk und christlichem Mummenschanz, Schädigung der Forstwirtschaft und Hamsterkäufen“. Aus den Dokumenten, die sie enthält, geht nach Ansicht der Behörde eindeutig hervor, dass das SED-Regime unmittelbar nach Abriegelung der Staatsgrenze Pläne verfolgte, die Weihnachtsfeiertage abzuschaffen und der Bevölkerung der DDR die Teilnahme und Durchführung des Weihnachtsfestes zu verbieten.

„Zuzutrauen war es ihnen allemal“, heißt es in einer ersten Stellungnahme von Marianne Birthler, „aber dass sie es wirklich ernsthaft in Betracht zogen, das muss ich erst mal noch verdauen.“ An der Echtheit des Fundes bestünden keine Zweifel. „Die Weihnachtsgeschichte“, meint Birthler, „muss jetzt umgeschrieben werden.“

Die Idee zu dieser zynischen und menschenverachtenden „Verordnung“ stammt offenbar von Walter Ulbricht höchstpersönlich. Freudiges Glitzern in Kinderaugen, geschmückte Wohnstuben, festliche Stimmung, Krippenspiel und Glockengeläut – das alles war dem gefürchteten SED-Parteichef nichts als ein Ärgernis, das abgeschafft werden musste. Unter den entdeckten Dokumenten befindet sich auch das Protokoll der entscheidenden ZK-Sitzung vom 14. 11. 1961, in deren Verlauf Ulbricht erklärte, es nicht länger mit ansehen zu wollen, „wie erwachsene Menschen ein grünes Kroppzeug in ihre Stube schleifen, dort mit Staniol und Krimskram behängen und einen Götzendienst davor tun“. Dieser „unwürdige Spuk“ müsse ein Ende finden. Nichts gegen einen Bart, er selber habe einen, aber gepflegt müsse er sein.

Vom Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser auf den Umgang mit dem christlichen Erbe und namentlich mit Jesus angesprochen, erwiderte Ulbricht, dass dieser „junge Mann ohne festen Wohnsitz“ seines Wissens aus egoistischen Motiven sein Land verlassen habe und es ja wohl nicht angehen könne, dass man ein paar Wochen nach der Sicherung der Staatsgrenze in jeder Stadt, jedem Dorf und jeder Wohnung diesem ausgewiesenen Schädling und Republikflüchter huldige. Die Genossen beschlossen ein ganzes Bündel von operativen Maßnahmen. So wurde der gesamte Handel über Nacht auf Mangelwirtschaft umgestellt, um den Erwerb von Geschenken zu erschweren. Baumschmuck war an zentralen Sammelstellen abzuliefern und zur Kennzeichnung von militärischen Uniformen und Auszeichnungen zu verwenden. Waldgebiete sollten großflächig abgeholzt und mit Plattenbauten versiegelt werden. Zu auffällige Bartträger wurden unter Anarchismusverdacht gestellt und aus dem Verkehr gezogen. Und aus den Atlanten und Schulbüchern hatten die Weihnachtsinseln zu verschwinden.

Dem Ministerium für Staatssicherheit wurde die „Operation Federvieh“ übertragen. Sie bestand darin, die Verhältnisse im Nachbarland Polen so zu destabilisieren, dass keine Gänse mehr von dort bezogen werden könnten. Das gelang der Stasi zwar erst Anfang der 80er-Jahre, als der Ausnahmezustand über Polen verhängt wurde, dann aber gründlich. In der DDR gab’s plötzlich keine einzige Gans mehr zu kaufen. Das wehmütige „Gänsefleisch“ hat sich bis heute im sächsischen Idiom erhalten.

Verständlich, dass die Bevölkerung, über die wahren Hintergründe all dieser Maßnahmen der Staatsorgane nicht informiert, versuchte, jedes Jahr, so gut es ging, Weihnachten zu feiern. Niemand ahnte, dass die Miseren und Mängel des DDR-Alltags künstlich erzeugt waren und allein dem Kampf gegen „heidnischen Spuk und christlichen Mummenschanz“ dienen sollten. Einem Kampf übrigens, der beinah erfolgreich gewesen wäre. Noch immer stehen im Beitrittsgebiet viele Leute dem Weihnachtsfest ablehnend gegenüber, verurteilen Konsumismus, Kirchenkitsch und Völlerei.

Marianne Birthler jedenfalls will nach Auswertung der neuen Fundstücke ihrer Behörde nicht ausschließen, „dass der Realsozialismus allem Anschein nach einzig und allein deshalb zugrunde ging, weil er nicht an den Weihnachtsmann glaubte“. Wer hätte das gehofft? RAYK WIELAND