„Kriegserklärung gegen das Volk“

Mit Verhaftungen und einem gewalttätigen Polizeieinsatz enden erneute Studentenproteste in Irans Hauptstadt Teheran. Doch die Hochschüler scheinen entschlossen, sich gegen die „Despotie“ weiter zu wehren. Scharfe Kritik an Staatspräsident Chatami

von BAHMAN NIRUMAND

Rund 70 Verhaftete nach vorherigem Einsatz von Messern, Schlagstöcken und Tränengas durch die Teheraner Polizei und Schlägertrupps: So lautet die Bilanz einer Versammlung von rund 3.000 protestierenden Studenten in der Aula des Technischen Instituts der Teheraner Universität am vergangenen Samstag. Anlass war der „Tag der Studenten“, der jährlich zum Gedenken an drei Hochschüler, die 1953 bei Demonstrationen gegen den Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon in Teheran erschossen worden waren, begangen wird.

Bereits im November hatten landesweite Proteste und Streiks der Studenten zwei Wochen lang die politische Bühne beherrscht. Sie galten dem Todesurteil gegen den Universitätsprofessor Hashem Aghadjari, der die Geistlichkeit scharf kritisiert hatte und daraufhin wegen Gotteslästerung verurteilt worden war. Die Studenten hatten unter anderem die sofortige Freilassung Aghadjaris gefordert.

Die Veranstaltung am Samstag war als „Versammlung der Studenten gegen Despotie“ angekündigt worden. Wahid Ghobadi, Mitglied des „Vereins Islamischer Studenten“ und einer der Hauptredner, verurteilte das Todesurteil gegen Aghadjari und erklärte, die Studenten seien entschlossen, gegen jede Art von Diktatur Widerstand zu leisten. Er nannte die Konservativen Scheinheilige, die im Namen der Religion Macht ausübten und das Land und den Islam ins Verderben zögen. „Wisst ihr nicht, dass die Verfassung jede Art von Folter verbietet“, sagte er. „Warum fürchtet ihr euch vor einer Volksbefragung? Wir haben eine Republik, hier liegt die Entscheidung beim Volk.“

Im Saal häuften sich die Rufe einiger Störer. Es kam zu kleineren Rangeleien. Zum Schluss verabschiedeten die Versammelten eine Resolution, in der es heißt, jeder Gläubige habe die Pflicht, gegen Despotie Widerstand zu leisten. Meinungsfreiheit und die Freiheit des Wortes seien ein Geschenk Gottes. Niemand könne sie verbieten. Die Resolution fordert die sofortige Freilassung Aghadjaris und warnte die Jusitz vor einer Wiederholung solcher Urteile. Angriffe gegen die Redefreiheit bedeuten eine Kriegserklärung gegen das Volk. Staatspräsident Chatami solle seinem Eid treu bleiben und die kompromisslerische Taktiererei aufgeben. Die Volksbefragung sei der einzige Weg, um friedlich aus der Sackgasse, in die „die mafiösen Machthaber“ das Land geführt hätten, herauszukommen. Andernfalls werde der Widerstand in die Illegalität gedrängt.

Nach dem Ende der Versammlung fanden die Studenten die Tore der Universität geschlossen. Draußen hatte sich eine große Menge versammelt. Die Lage eskalierte, als sich mit Schlagstöcken und Messern bewaffnete Milizen unter die Versammelten mischten. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Studenten skandierten: „Tod den Taliban, von Kabul bis Teheran“, „Taliban in Iran, bald seid ihr dran.“ Die Polizei setzte Tränengas ein. Auf den umliegenden Straßen befanden sich rund 20.000 Menschen. Die Polizei brauchte zwei Stunden, um die Menge auseinander zu treiben.

Am Abend veröffentlichte Ali Taali, Leiter der politischen Polizei Teherans, eine Erklärung über die Verhaftungen, die in Zusammenhang mit den Unruhen erfolgt seien. Es habe Provokation von außerhalb der Universität gegeben, heißt es dort weiter. Die meisten Versammelten draußen seien keine Studenten gewesen. Offenbar seien sie Aufrufen aus dem Ausland gefolgt.