Parteichef ganz dringend gesucht

Nahezu alle prominenten grünen PolitikerInnen wurden in der Nacht zum Sonntag von vier Headhuntern gefragt: Willst du es nicht machen? Ohne Erfolg

aus Hannover PATRIK SCHWARZ

Die Macht lag auf dem Fußboden, eine ganze Nacht lang, und keiner wollte sie aufheben. Sehr grün ist das wohl, nicht einmal unsympathisch, aber auch erstaunlich bei einer Partei, die sich selbst auf einen Lernschritt des letzten Jahrzehnts viel zugute hielt: eine wenn auch zögerlich gewachsene Wertschätzung von Professionalität und Machtbewusstsein. Letztlich ist die Macht dann bei den beiden Menschen hängen geblieben, die als einzige die Hände aufhielten: die arbeitslose Ex-Abgeordnete Angelika Beer und der ausscheidende Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer, den sein bisheriger Chef Fritz Kuhn vor wenigen Wochen noch zum Amtsverzicht genötigt hatte.

So ist das neue Führungsteam weit weniger beeindruckend als die lange Liste an Personen und Modellen, mit der in der Nacht zum Sonntag die Parteigrößen hausieren gingen. Wer in den wenigen Stunden alles gefragt wurde, den Parteivorsitz zu übernehmen, wer alles abwinkte, das war das „Who is Who“ des Hannoveraner Parteitags: Ralf Fücks, Matthias Berninger, Michael Vesper, Thea Dückert, Christine Scheel, Margarete Bause, Steffi Lemke, und es gab noch mehr. Die Vielfalt der Namen zeugt gleichermaßen von einer grünen Partei, die über einiges an fähigem Potenzial verfügt, aber auch geprägt ist von den Verletzungen wie Verpflichtungen einer Regierungspartei: So manche mögliche Kandidaten waren aus den Kämpfen einer langen Vergangenheit zu verletzt, um zusammenzuarbeiten, andere zu sehr der Regierungsarbeit verpflichtet, um ihr Abgeordnetenmandat in Land oder Bund für den Vorstandsposten aufzugeben.

Doch genau dies erfordert der Beschluss der 699 Delegierten, der um kurz nach 1 Uhr am Sonntag früh verkündet wurde. Eine starke Minderheit von 229 Grünen wollte für ihre Vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn keine Ausnahme machen bei der geltenden Trennung von Amt und Mandat. Und so trommelte Roth nach einer tapferen Abschiedsrede („Ich liebe diese Partei, wie sie ist“) in einem letzten Amtsakt zur Sitzung des Parteirates in den Saal „Utrecht“. Binnen Kürze ging das Gremium der grünen Elefanten wieder auseinander. Einen „Plan B“ hatte das Spitzenteam um die grünen Minister in den sieben Wochen seit der ersten Abstimmungsniederlage über die Amt-Mandat-Frage beim Bremer Parteitag nicht einmal diskutieren wollen – man wollte keinen Zweifel an der eigenen Siegeszuversicht aufkommen lassen. Nun erwies sich keines der Schwergewichte als vorbereitet auf eine Jobsuche, für die abzüglich ein wenig Schlaf nur fünf, sechs Stunden Zeit blieb.

Ein Quartett aus vier Headhuntern wurde bestimmt, darunter die bayerische Landeschefin Margarete Bause und der NRW-Linke Frietjof Schmidt, um erste Sondierungsgespräche zu führen. „Es ist fast jeder gefragt worden“, sagt am Morgen ein Landesminister, „auch die Bundestagsfraktion rauf und runter.“

Zwei Varianten wurden angedacht. Da ist das Modell Telekom: Könnte nicht, wie nach dem Abgang von T-Manager Ron Sommer, ein altgediehnter Fahrensmann den Laden übernehmen, bis mit Ruhe eine starke Führung gefunden ist? Ein Hoffnungsstrahl ist schließlich deutlich zu erkennen: Spätestens Ende Mai dürfte die Basis per Urabstimmung die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben haben, denn die einfache Mehrheit dafür ist sicher. Doch die Idee verwarf man rasch – ein Konzern, aber nicht eine Regierungspartei kann kommissarisch geführt werden.

Das zweite Modell Hoffnung zielte auf den Generationenwechsel, den ausgerechnet Joschka Fischer am Samstag in seiner Rede angesprochen hatte – verbunden mit der Bitte, ihn doch endlich von der Rolle des heimlichen Vorsitzenden zu erlösen.

Die Namen der jungen Staatssekretäre Matthias Berninger und Simone Probst geistern durch die Gänge im Konferenzhotel. Gewiss, beide müssten nicht nur ihr Mandat abgeben, sondern auch auf ein Regierungsamt verzichten. Auch hinter diesem Szenario steht der Funke Hoffnung, statt dem drohenden Schlagzeilendesaster eine halbwegs zukunftsweisende Lösung zu schaffen.

Schließlich geht die Sonne auf über dem Kongresszentrum und der Parteitag blickt halb apathisch, halb verblüfft auf seine neuen Vorsitzenden: Beer und Bütikofer sind übrig geblieben. Vordenker Fücks von der Böll-Stiftung sah keine Chancen, sagen manche, er wollte gegen seinen Freund Bütikofer nicht antreten, sagen andere. „Es ist, wie es ist“, sagen Linke. „So ist es jetzt“, meinen sie im Fischer-Lager. Man wird schon irgendwie zusammenarbeiten, signalisiert Fischer. Als er für den Parteirat kandidiert, sagt er: „Meine grundsätzlichen politischen Positionen wie auch Funktionen haben sich seit gestern Abend nicht verändert.“ Der heimliche Vorsitzende wird seinen Job nicht los.