Weltoffen mit kranken Phantasien

Die totale Abrechnung: Generaldebatte in der Bürgerschaft zu Beginn der Haushaltsberatungen steht im Schatten Schills. Bürgermeister Ole von Beust gerät ob der Schwäche der SPD dennoch nicht in die Defensive

von PETER AHRENSund SVEN-MICHAEL VEIT

Als Senat und Opposition zur gestrigen Eröffnung der Etatdebatte die Klingen kreuzten, gab es am Ende stehende Ovationen von Schwarz-Schill für den CDU-Bürgermeister Ole von Beust. Die SPD-Opposition hatte erneut das Nachsehen.

Der Abrechner

Dabei war gestern für den SPD-Fraktionschef Uwe Grund ein so wichtiger Tag gewesen. Die Haushaltsdebatte ist für den Oppositionsführer schließlich die jährliche Chance zur Generalabrechnung. Der SPD-Vormann ritt zwar die scharfe Attacke, verwechselte dabei allerdings Konfrontation zuweilen mit persönlicher Beleidigung. So attestierte er Kultursenatorin Dana Horáková, „Küsschen hier und Küsschen da, wenn ein Promi auf der Piste ist“, sei zu wenig, Bürgermeister Ole von Beust bekam den „smarten Frühstücksdirektor“ ab, und Bausenator Mario Mettbach wurde von Grund zum „Partylöwen“ ernannt.

Frontal ging er auf Innensenator Ronald Schill los. Von Beust solle einmal Führungsstärke zeigen und den Senator nach dessen neuerlichem „Amoklauf“ in Sachen Kampfgas entlassen. „Schill schadet Hamburg, und der Bürgermeister steht Schmiere“, stellte Grund fest. Ansonsten agiere der Rechtssenat sozial feindlich, anders, als es selbstverständlich die SPD tun würde: „Wir verstehen Herz und Seele dieser Stadt.“

Der Vorrechner

Wenn Grunds Pendant von der CDU ans Pult tritt, regnet es Zahlen. Oft genug bleibt deren Herkunft unklar, doch das stört Michael Freytag nicht, denn Zahlen sind seine Welt, nicht die Realität dahinter. 20.000 Poller habe der „Bürgersenat“ bereits abgebaut und 77 Dealer verurteilen lassen, 1286 Polizisten werde er einstellen und 68 Straßen pro Jahr sanieren, wo Rot-Grün doch höchstens fünf geschafft habe. Beleg dafür, so Freytag, „dass wir täglich Nägel mit Köpfen machen“. Die SPD hingegen bemühe „Rezepte aus der sozialistischen Mottenkiste“, indem sie per Vermögenssteuer „verdiente Familien aus der Stadt treiben“ wolle. „Da“, versprach Freytag, „machen wir nicht mit“, und vergaß nicht hinzuzufügen, „dass wir die Zahl der Abschiebungen deutlich gesteigert haben“. Das sei „Politik, die der Bürger versteht“.

Die Stütze

Schill-Fraktionschef Norbert Frühauf beschränkte sich darauf, seinem Vorsitzenden den Rücken zu stärken. „Lassen Sie sich nicht von den Hetzkampagnen der Opposition beirren und bleiben Sie auf Kurs“, rief der Smutje seinem Käptn Schill zu. Frühauf bemerkte immerhin, dass „die Wähler hinters Licht geführt wurden und die Koalition keine Mehrheit mehr hat“, wobei er allerdings Berlin statt Hamburg im Sinn hatte und sich wie üblich in seinen Satzkonstruktionen verhedderte. Sein FDP-Koalitionskollege Burkhardt Müller-Sönksen sprang folgerichtig seinem Parteifreund, Bildungssenator Rudolf Lange, bei, der erstmals „Klarheit und Wahrheit“ in die Schulpolitik eingebracht habe. Ein Wort der Kritik an Schill kam dem Liberalen nicht über die Lippen.

Die Schmerzhafte

Kurz und schmerzhaft machte es Christa Goetsch. Schill habe mit seiner Giftgas-Idee endgültig bewiesen, dass er „seinem Amt weder fachlich noch charakterlich gewachsen ist“, stellte die neue GAL-Fraktionschefin fest. „Werfen Sie ihn raus, Herr von Beust“, forderte sie den Bürgermeister auf, „wenn Sie überhaupt noch ein Rückgrat haben.“ Was sie aber bezweifle, angesichts der „Führungsschwäche“ des Regierungschefs.

Eine Stadt, die mit angeblicher „Weltoffenheit für Olympia wirbt“, dürfe aber keinen Senator dulden, „der mit kranken Phantasien menschenverachtende Politik betreibt“ – eine zutreffende Einschätzung, für die Goetsch prompt einen Ordnungsruf des Bürgerschaftspräsidenten wegen „unparlamentarischen Sprachgebrauchs“ einstecken musste.

Dem Schwarz-Schill-Senat warf Goetsch eine Politik der „Ausgrenzung statt Integration“ vor. „Familien, Kinder, Schüler und Frauen sind die großen Verlierer Ihrer Politik“. Für die weiteren Debatten heute und morgen würden die Grünen deshalb Anträge „zur Verbesserung der Lebensqualität gegen soziale Ausgrenzung und für nachhaltige Entwicklung“ vorlegen, kündigte Goetsch an. Und sie würden auch „aufzeigen, wie diese finanziert werden können“ – auch ein Seitenhieb auf die SPD, die sich standhaft der Gegenrechnung verweigert, wie ihre Vorschläge bezahlt werden könnten.

Der Aggressive

Bürgermeister Ole von Beust (CDU) konnte sich all das in Ruhe anhören und hatte anschließend viel Freude dabei, die SPD vor sich her zu treiben. Nachdem er zunächst die Rhetorik Grunds abgewatscht hatte – „wer Sie als Gegner hat, braucht keine Freunde mehr“ - , knöpfte er sich genüsslich die Äußerungen des SPD-Innenpolitikers Michael Neumann vor, der in seiner Fraktion geschlossene Heime und Brechmitteleinsätze durchgesetzt hat. Während Gewerkschafter Grund „reine ver.di-Politik“ vertrete, könne Neumann, wenn er wolle, Asyl in der CDU erhalten, bot von Beust an.

So konnte der Bürgermeister in Sachen Schill gar nicht erst in die Defensive geraten. Der Innensenator sei angesichts „der ungeheuren Bedrohung des Terrorismus“ in der „Pflicht gewesen, alles Unmögliche zu denken“. Der Opposition warf er schlicht vor, „Schill zu hassen“.