Ausgefeilte Schikane

Das Bremerhavener Ausländeramt quält eine russische Familie mit Abschiebungsdrohungen – obwohl Richter urteilten, dass der Familienvater seines Lebens in der Heimat nicht sicher sei. Der Ex-Offizier hatte aus Gewissensgründen den Dienst quittiert

Eine runde Summe Sozialhilfe sowie jede Menge Arzt- und Personalkosten hätte Bremerhaven in den letzten Jahren sparen können – mit ein bisschen mehr Respekt vor Gerichtsurteilen und ein wenig mehr Augenmaß bei Ermessensspielräumen. Doch dafür ist die Bremerhavener Ausländerbehörde nicht bekannt.

Für deren Opfer hat das schlimme Folgen: Obwohl das Bremer Verwaltungsgericht einem ehemaligen russischen Militärarzt im Rang eines Offiziers bescheinigte, dass er in der gesamten Russischen Föderation am Leben bedroht sei, betreibt das Ausländeramt die Abschiebung seiner Familie. Diese bricht unter der Wucht dieser Drohung, gekoppelt mit überfallartigen Polizeimaßnahmen, nun sprichwörtlich zusammen.

Die zierliche Mutter (41) leidet unter Angstzuständen, dem Vater (38) wachsen Magen-Darm-Geschwüre. Die in Bremerhaven geborene vierjährige Tochter fällt von einer Bronchitis in die nächste und auch der 14-jährige Sohn wird ohne Therapie mit dem Erlebten und der ständigen Angst nicht fertig. Nachdem die Polizei letztes Jahr unerwartet in die kleine Sozialwohnung der Familie eindrang, um sie kurzerhand abzuschieben, herrscht dort Terror. „Ohne unsere Anwältin wären wir nicht mehr hier. Dabei war das Gerichtsurteil noch ganz frisch, das mir ein Abschiebehindernis bescheinigte“, sagt der Vater. Er hatte damals gerade begonnen, sich – nach acht Jahren – in Deutschland erstmals sicher zu fühlen.

Die Abschiebung scheiterte zwar. Doch bis heute zielen alle Bemühungen der Behörde, die sich zu „dem schwebenden Verfahren“ gestern nicht äußern wollte, auf Ausweisung. Mutter und Kinder sollen ohne den Vater nach Litauen gehen, wo die gebürtige Russin Anfang der 90er Jahre, „als wir dachten, wir könnten dort bleiben“, aus technischen Gründen die Staatsbürgerschaft erhalten hatte.

Der Familienvater war damals in Litauen stationiert. „Auf Befehl“ habe er sich 1991 an einem Putschversuch seiner Spezialeinheit, die zur sowjetischen Armee gehörte, in Wilna beteiligen müssen, berichtet er. Nach seinem Abschied vom Militär „aus Gewissensgründen“ verließ er – trotz offiziellen Verbots – 1993 Litauen gen Westen. Frau und Sohn kamen Monate später nach.

Über all diese Dinge würde der Russe gerne schweigen – wenn man ihn nur ein normales Leben beginnen ließe. Doch davon ist er weit entfernt. Obwohl er den Richtern zufolge in der Heimat auf Dauer gefährdet ist und er und seine Frau mehrere Arbeitsplätze in Aussicht hatten, bekamen sie vom Amt nie eine Arbeitserlaubnis. Jeden Tag rechnen sie außerdem mit einem neuen Abschiebeversuch.

Dabei ist das Urteil des Verwaltungsgerichts, das dem Ex-Offizier Gefahr für Leib und Leben zugesteht, wenn er zurück muss, elf beachtliche Seiten dick. In der gesamten Russischen Föderation drohten dem Mann Strafverfolgung und erniedrigende, unmenschliche Haft und Folter, urteilten die Richter unter Bezugnahme auf das Auswärtige Amt und Amnesty International. Die Gefangenenhilfsorganisation hatte gewarnt, dem Ex-Militär drohe wegen Geheimnisverrats eine ähnliche Behandlung wie Deserteuren der sowjetischen Streitkräfte – die in Deutschland Bleiberecht bekommen.

Die Duldung der Familie, in der alle perfekt deutsch sprechen und beide Eltern über qualifizierte Berufsausbildungen verfügen, wird jedoch nur monatsweise verlängert. „Schikane“, sagt Danja Schoenhöfer von der Bremer Flüchtlingsinitiative. Sie unterstützt eine Petition der Familie auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Vielleicht verfügen die zuständigen Politiker ja über Augenmaß. Denn wären Mutter und Sohn dem Vater nur drei Monate früher nach Deutschland gefolgt, hätten sie die „Altfallregelung“ beanspruchen können. Die sollte humanitäre Härtefälle vermeiden. ede