Geneigt, gebiegt und liebgereizt

Ohne Überraschung, aber hinreißend getanzt und eine außergewöhnlich perfekte Verbindung von Kraft und Zärtlichkeit: Die Premiere der „Bajadere“ in der Staatsoper unter der Leitung des neuen Ballettdirektors und Tanzsuperstars Vladimir Malakhov

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Es riecht betäubend nach Vanille und glitzert vor den Augen. Die Damen im Parkett haben schwere Düfte, Paillettenbesticktes, durchsichtige Spitzen und Pelze angelegt. Das ist schon recht so, schließlich gilt es einen der letzten Prinzen dort zu feiern, wo er nach was zu suchen hat: im Ballett! Kaum betritt der erste Krieger den Palast der „Bajadere“ auf der Bühne der Staatsoper, reißen die Damen schon die Hände hoch und klatschen … pardon, das war zu früh. Aber der nächste, der mit großen Jetés über die Bühne fegt, das ist er endlich: Vladimir Malakhov, der neue Star der Staatsoper.

Vladimir Malakhov ist Kult, bloß hat sich das in Berlin noch nicht so rumgesprochen wie in Moskau, New York oder Tokio. Aus Tokio war zur Premiere seiner „Bajadere“ eigens ein Fernsehteam angereist, viele Besucher sprachen russisch. Dicke Bildbände über den Tänzer konnten im Foyer erworben werden. Malakhov aber ist nicht bloß einer der berühmtesten und bestbezahlten Tänzer der Welt, sondern seit August auch Ballettdirektor der Staatsoper Unter den Linden. Lange fehlte dieser Compagnie eine Leitung, die erstens für ein eigenes Profil des Ensembles gesorgt, zweitens den Tanz im eigenen Haus gestärkt und somit drittens in der dahinkriechenden Debatte um die Zukunft der Ballette gute Argumente geliefert hätte. Ob Malokhov dies alles kann, weiß man auch nach seiner ersten Berliner Premiere noch nicht. Sie zeugte mehr von seinem Hausrecht unter den Feen.

„Die Bajadere“ hatte am Sonntag nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg Premiere: und auch dort in einer Fassung, die alle vier Akte wieder herstellt. Dem Choreografen der Uraufführung 1877 in St. Petersburg, Marius Petipas, müssen die Ohren geklingelt haben. Was aber die Wiederaneignung der Historie so attraktiv für die Compagnien macht, erschloss sich in Berlin kaum. Das neunzehnte Jahrhundert ist vorbei. Wenn man es mit all seinen exotischen Klischees des Kolonialismus und der erotischen Projektionen auf das Fremde wiederbelebt, warum muss man dann alles vergessen, was man seitdem darüber erfahren hat? Warum freiwillig die Freiheit aufgeben, die der Tanz seitdem von starren Raumkonzepten und einer illustrativen Musik errungen hat? Das Programmheft zeigt sich der historischen Verortung gegenüber aufgeschlossen. Die Inszenierung hingegen macht dicht.

So glänzt das Ballett denn mit anachronistischen Werten. Es ist opulent und elegant, lyrisch und expressiv, virtuos und exakt. Wacker spielt die Staatskapelle die Musik von Ludwig Minkus, zu der auch Zirkuspferde traben könnten. Wer je in einem Ballettsaal geübt hat, kennt die Schrittkombinationen, die sich als Trainingseinheiten ein langes Leben bewahrt haben. Überraschend ist die Choreografie deshalb an keiner Stelle. Hinreißend getanzt schon. Man kann durchaus ins Schwärmen geraten über diese Verbindung von Zärtlichkeit und Kraft.

Als erster Wegweiser für eine neue Zukunft des Staatsopernballetts ist das allerdings etwas wenig. In der Zeit der kulturpolitischen Suche nach einem neuen Konzept für die Ballett-Ensembles der Berliner Opernhäuser, von der letztendlich außer den Einsparungen von Tänzerstellen nichts umgesetzt wurde, hat nur die Staatsoper die Stärke ihrer Compagnie nicht angetastet. „Die Bajadere“ braucht eine solch große Compagnie. Höchstwahrscheinlich wollte man mit dem Stück ihren Erhalt rechtfertigen.

Der Abend endete mit der Disziplin des Blumenweitwurfs. Ein Herr in der Königsloge links schien extra dafür abgestellt, die mitgebrachten Rosensträuße auf die Bühne zu schleudern. Er hatte sehr, sehr viel zu tun. Denn die wahren Malakhov-Fans scheuen keine Mühen und Kosten, reisen von weither an, was auch immer er tanzt.

Weitere Aufführungen in der Staatsoper Unter den Linden 10., 12., 14. und 17. Dezember