KATSAV-STAATSBESUCH VERLANGT BEHUTSAMKEIT – AUF BEIDEN SEITEN
: Bedauerliche Vermischungen

Die NPD demonstriert gegen deutsche Waffenlieferungen nach Israel. Der FDP-Politiker Jürgen Möllemann benutzt den Deckmantel einer kritischen Haltung gegenüber der israelischen Regierungspolitik zur Verbreitung antisemitischer Klischees. Der Schriftsteller Martin Walser prägt im Zusammenhang mit dem Konzentrationslager Auschwitz das unsägliche Wort von der „Moralkeule“. Viele deutsche Nicht-Juden, die sich für vorurteilsfrei halten, meinen, nun müsse endlich Schluss sein mit dem Gerede von Schuld und Sühne. Sie finden, dass es den Juden hier doch gut gehe. Offenbar halten sie die Tatsache für hinnehmbar, dass jüdische Kindergärten und Synagogen in der Bundesrepublik des Polizeischutzes bedürfen.

Vor dem Hintergrund all dessen fällt jede Kritik am israelischen Staatspräsidenten Mosche Katsav schwer – zumal sich der Politiker auf einem Staatsbesuch hier aufhält, also im Rahmen einer Visite, die ganz besondere Höflichkeitsformen erfordert. Diese Gesetze der Höflichkeit gelten allerdings für beide Seiten. Es geschieht nicht zum ersten Mal, dass ein Gast versucht, kurzfristige Interessen seines Landes unter dem protokollarischen Schirm eines Staatsbesuches durchzusetzen. Aber das hat stets einen unguten Beigeschmack. Um einen Vergleich aus einem ganz anderen Bereich zu bemühen: Im Fußball gibt es sowohl Freundschaftsspiele als auch Begegnungen, die für die Punktwertung wichtig sind. Beide haben ihre Berechtigung. Sie lassen sich jedoch nicht miteinander vermengen.

Wenn Mosche Katsav im Vorfeld seines Besuches erklärt, eine deutsche Ablehnung der israelischen Anfrage nach deutschen Transportpanzern werde zu großer Enttäuschung führen, und wenn er zugleich jede Zusage ablehnt, dass dieses Gerät nicht in palästinensischen Gebieten eingesetzt werde, dann verwechselt er ein Punktspiel mit einem Freundschaftsspiel. Das gilt umso mehr, als er eben nicht die Funktion eines Regierungschefs innehat, dessen Anliegen nach der Klärung tagesaktueller Fragen vielleicht ebenso falsch, aber doch zumindest verständlicher wäre.

Im deutsch-israelischen Verhältnis wäre gerade jetzt ein Freundschaftsspiel besonders wichtig. Es könnte der Klarstellung dienen, dass zumindest die einflussreichsten Politiker dieses Landes jede Form des Antisemitismus ablehnen. Schlimm genug, dass dies klargestellt werden muss. Aber schöner sind die Verhältnisse nun einmal nicht. Vor diesem Hintergrund war es übrigens eine sensible und würdige Entscheidung, den Staatsbesuch von Mosche Katsav mit der feierlichen Einweihung einer neuen Synagoge auf einem Gelände in Wuppertal beginnen zu lassen, das früher dem antinazistischen Teil der christlichen Kirche gehört hatte.

Dieser Anfang hätte ein Symbol dafür sein können, dass eine neue Blüte jüdischen Lebens in Deutschland von vielen Bürgern dieses Landes – mögen sie atheistisch, christlich, islamisch oder eben jüdisch sein – begrüßt wird. Wessen Interessen dient es, wenn ein solches Signal von einer kurzlebigen, politischen Frage überschattet wird? Allenfalls denen einer moralfreien Machtpolitik. Die US-Regierung hat, wie sich in jüngster Zeit mehrfach zeigte, ein großes Bedürfnis, alle Absagen der rot-grünen Regierung an einen Krieg gegen den Irak als ausschließlich wahltaktisch bestimmtes Manöver zu geißeln.

Washington mag es in psychologischer Hinsicht nützlich finden, Deutschland und Israel aufeinander zu hetzen und somit jeden Einspruch gegen einen Angriffskrieg auf den Irak mit dem Stigma des latenten Antisemitismus zu versehen. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Staatsgründung sollte sich Israel dafür nicht hergeben. Die Existenzsicherung des jüdischen Staates hängt nicht von der Lieferung deutscher „Fuchs“-Panzer ab.

Nicht alle Deutschen, die angesichts des Holocaust noch immer starr vor Entsetzen und Scham sind, vertreten zugleich die Ansicht, dass der historische Mord an den europäischen Juden jede Menschenrechtsverletzung an Palästinensern unter dem Gesichtspunkt der Prävention israelischer Sicherheit rechtfertigt. Menschenrechtsverletzungen beginnen fast stets damit, dass reale Erfahrungen oder Probleme mit irrationalen Vorurteilen vermischt werden. Wer jede Form des Rassismus ablehnt, sollte genau dieser gefährlichen Mischung entgegentreten. In der konkreten Situation heißt das: Kein Antisemitismus – und keine deutschen Panzer für Israel. Es wäre hilfreich gewesen, wenn deutsche Menschenrechtsaktivisten den israelischen Präsidenten Mosche Katsav in dieser Hinsicht an ihrer Seite gefunden hätten. Schade, dass dem nicht so war. BETTINA GAUS