„Katalysator für latente Energien“

Antonio Martins von Attac Brasilien zur Bedeutung von Festen für Globalisierungs-kritiker und die Schwierigkeit, Porto Alegre und Davos näher zusammenzubringen

taz: Herr Martins, das dritte Weltsozialforum in Porto Alegre wird auch das größte. Sie erwarten 100.000 TeilnehmerInnen. Wollen Sie ins Guinness-Buch der Rekorde?

Antonio Martins: Das Weltsozialforum ist ein großes Festival der Alternativen – und das ist ganz und gar nichts Schlechtes. Als Brasilianer wissen wir um die Rolle großer Feste als Katalysatoren für latente Energien. In Porto Alegre treffen sich Menschen, die sich auf der ganzen Welt für eine neue Gesellschaft engagieren. Sie erkennen sich, sie sehen und berühren sich, sie teilen ihre Anliegen und tauschen sich aus. Diese Zusammenkunft zieht eben auch immer mehr Menschen an, und es wäre doch elitär, das Forum plötzlich auf Insider zu beschränken.

Welche konkreten inhaltlichen Fortschritte erwarten Sie von Porto Alegre 3?

Leider wird auf dem Weltsozialforum wieder der Schatten des Krieges liegen. Deshalb werden die Fragen vor allem sein: Was können wir dem Versuch des Imperiums entgegensetzen, Konflikte gewaltsam zu lösen und den Zugang zu Rohstoffen zu kontrollieren? Wie können wir die Kriegslogik ablösen? Wie können wir stattdessen dafür sorgen, dass sich die Logik der Rechte für alle gegen die Logik der höchsten Profite durchsetzt? Wie können angesichts der Sinnentleerung der traditionellen Demokratie neue Formen von Bürgermacht entstehen?

Von außen werden immer wieder hohe programmatische Erwartungen an das Weltsozialforum herangetragen. Kann sich innerhalb so weniger Tage überhaupt Neues entwickeln?

Es wird keine neue Welt ohne Theorie geben, aber die Theorie wird nicht auf Festivals entwickelt. Wir müssen einen ständigen Raum für die Globalisierungskritik und die Formulierung von Alternativen schaffen. Deshalb denken einige brasilianische Nichtregierungsorganisationen auch daran, neben dem Forum und in der gleichen Themenvielfalt ein ständiges Studienzentrum zu gründen, eine Art Universität der Alternativen.

Schon beim letzten Weltwirtschaftsforum war viel von Armutsbekämpfung die Rede. Jetzt ist der neue brasilianische Präsident Lula nach Davos eingeladen worden. Sehen Sie eine Annäherung zwischen dem Weltwirtschaftsforum und dem Weltsozialforum?

Die Einladung an Lula ist ein Zeichen dafür, dass es selbst für die Befürworter des Neoliberalismus – und genau für diese ist Davos ein Symbol – unmöglich geworden ist, ihren alten Diskurs aufrechtzuerhalten. Noch vor fünf Jahren war für diese Herren die Geschichte zu Ende, und die Bestimmung der Menschheit waren die liberalen Regime. Jetzt versuchen sie, diese Position zu verschleiern, und behaupten plötzlich, dass sie sich wegen Armut und Ungleichheit Sorgen machen.

Ist das kein Fortschritt?

Bisher ist das nur Rhetorik. Der Internationale Währungsfonds verurteilt Argentinien weiterhin zum Chaos und zum Verschwinden als relevante Volkswirtschaft. Die Welthandelsorganisation beharrt auf der in Doha gestarteten Liberalisierungsrunde. Und gerade haben die USA vorgeschlagen, bis 2015 alle Zollschranken abzuschaffen. In Deutschland oder Frankreich geht der Sozialabbau, wenn auch langsam, weiter. Deshalb ist es noch nicht möglich, dass sich Porto Alegre und Davos annähern.

Wo soll das Weltsozialforum 2004 stattfinden?

Diese Entscheidung trifft der Internationale Rat des Weltsozialforums, in dem 150 soziale Bewegungen und Bürgervereinigungen aus aller Welt vertreten sind. Und zwar in Porto Alegre. Am Rande des Europäischen Sozialforums in Florenz war ein gewisser Druck spürbar, das Forum weiterhin hier zu behalten. Der Sieg Lulas hat auch außerhalb Brasiliens enorme Hoffnungen geweckt. Allerdings ist die Frage des Ortes nicht mehr so wichtig wie früher, denn durch die großen Regionalforen hat sich der ganze Prozess inzwischen längst dezentralisiert.

INTERVIEW: GERHARD DILGER,
PORTO ALEGRE