Amerika kocht, Europa wäscht ab

von RALF SOTSCHECK

US-Präsident George W. Bush möchte, dass die Türkei in die EU aufgenommen wird, und sein britischer Freund Tony Blair möchte das auch. Beide haben unterschiedliche Gründe. Bush braucht die Türkei für seinen Krieg gegen den Irak, sagt der politische Kommenator Timothy Garton Ash: „Amerika kocht, Europa wäscht ab. So gibt es am Ende vielleicht ein europäisches Protektorat, den Irak, der direkt neben einem EU-Mitgliedsland liegt, nämlich der Türkei.“

Blair hingegen träumt den alten britischen Traum von einer immer größer werdenden Freihandelszone. Deshalb hat sich London wiederholt für eine „Rendezvous-Klausel“ auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen ausgesprochen – ein Datum, um ein Datum für den Verhandlungsbeginn mit der Türkei festzulegen. Ein Diplomat in London: „Die Türken müssen noch ein ganzes Stück Weg zurücklegen, aber sie sind schon unglaublich weit gekommen. Wir haben die größten Reformen seit Atatürk erlebt.“

Nicht alle Briten sind jedoch der Ansicht, dass diese Reformen Ankaras für einen Beitritt ausreichen. Die Menschenrechtsorganisationen amnesty international und Human Rights Watch verlangen weitergehende Reformen, die es vor allem den hunderttausenden Kurden ermöglichen, in ihre Heimat im Südosten zurückzukehren.

Viele Briten teilen außerdem die Ansicht des Konventspräsidenten d’Estaing, dass die Türken „eine andere Kultur und Lebenseinstellung“ haben – auch wenn die Regierung in London offiziell diese Äußerung zurückwies. Die EU-Abgeordnete Mary Honeyball von der Labour Party sagte dazu: „Die EU ist doch kein christlicher Verein.“ Und Timothy Garton Ash meint: „Wenn es bei Europa darum geht, eine kohärente politische Gemeinschaft mit Ambitionen einer Supermacht zu schaffen, stoppen wir am Bosporus. Wenn wir es aber für dringlicher halten, Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand zu fördern und damit auch die Chancen für Frieden in dieser gefährlichsten Ecke der Welt, dann müssen wir die Brücke überqueren.“

Europa habe seit 40 Jahren mit der Türkei geflirtet, schreibt Kolumnist Simon Tisdall im Guardian: „Es ist wie bei einem jungen Mädchen, das von einem attraktiven Fremden fasziniert ist, aber auch Angst hat. Nun versuchen die alten Männer von Europa, die sich wie Onkel oder Vormünder aufführen, diese Beziehung zu unterdrücken, bevor sie zu weit geht.“