Der Tod des Saddam Hummer

Wie Rezzo Schlauch einmal für seine grünen Freunde very slow food kochen wollte

Mit leisem Schauder trug der bekennende Gegner der Todes-strafe seine teure Fracht heim

Rezzo Schlauch ist ein begeisterter Hobby-Koch. Jedes Jahr lädt der schwergewichtige Bonus-Realo einige seiner Parteifreunde zu einer kulinarischen „Jahresend-Ausschusssitzung“ ein. Auch diesmal hatte er sich wieder ein bescheidenes Menü ausgedacht: Soupe aux truffes, Canard sauvage à la bigotte und Homard thermidor, abgerundet von einem Soufflé au citron.

Hummer sollte es schon sein – das war zwar kein politisch korrektes Nahrungsmittel aus der Region, aber ein grünes Menü brauchte nun mal einen würdigen Botschafter des Ökosystems Meer. Als Bewohner eines küstenfernen Landstrichs zog Schlauch die Fachliteratur zu Rate: „Krustentiere müssen immer ganz frisch sein. Bei Tieren, die man gegart gekauft hat, ist die Frische mitunter fragwürdig, und es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass sie zu lange gegart wurden.“ Das war ja genauso wie mit politischen Ideen, dachte Schlauch und las weiter: „Am besten kauft man deshalb lebende Krustentiere – vorzugsweise von einem Händler, der sie in Seewasserbassins hält. Und je lebhafter sie sich bewegen, desto besser.“

Da traf es sich gut, dass die Feinkostabteilung des Berliner KaDeWe fangfrische Hummer aus Kanada annoncierte. Also machte sich Rezzo Schlauch auf den Weg und kämpfte sich durch vorweihnachtliche Menschenmassen zur Fischabteilung durch. Endlich stand er vor dem Bassin. Mit majestätischer Würde reckten die Hummer ihre Fühler, krochen im Zeitlupentempo zwischen den Steinen umher. Sie erinnerten ihn irgendwie an Rudolf Scharping, aber der war Vergangenheit, und jetzt zählte nur die rosige Hummergegenwart.

Schlauch ließ ein Tier aus dem Aquarium fischen und in einen Karton setzen. Mit leisem Schauder trug der bekennende Gegner der Todesstrafe seine kostbare Fracht durch die Menschenmenge, daheim setzte er sie erleichtert auf dem Küchenbalkon ab und studierte im Kochbuch die weiteren Schritte: „Zu Hause kann man die Hummer dann noch für kurze Zeit in einer gut isolierten Kiste mit feuchtem Seetang oder in einem Korb, bedeckt mit feuchtem Zeitungspapier, aufbewahren.“

Da er momentan keinen feuchten Seetang zur Hand hatte, nahm Schlauch eine alte Gesetzesvorlage, dann machte er sich an die weiteren Vorbereitungen. Schließlich kamen die Gäste, und das Mahl konnte beginnen. Die Trüffelsuppe war köstlich, die Ente butterzart, die Gäste geizten nicht mit ihrem Lob. Doch dann kam der schwierigste Teil, der Weg zum Schafott. Tiere bei lebendigem Leibe in kochendes Wasser zu werfen, war ja Schlauchs Sache nicht. Aber da musste der genussfreudige Hobby-Pazifist nun mal durch.

Schlauch öffnete die Kiste und schauderte. Es war was faul im Staate Dänemark. Der Hummer hing verdächtig leblos in der Ecke. Wie ein k.o. gegangener Boxer. Oder die Regierung in diesen Tagen. Schlauch hob ihn hoch – die Scheren hingen schlaff nach unten. Dieser Hummer war tot, verendet. Hatte fern der Heimat sein Leben ausgehaucht. Dabei hätte King Crusty es so gut gehabt, wäre er doch wieder ins Wasser gekommen. Wenn auch kochendes, aber immerhin Wasser, überlegte Schlauch.

Was konnte er also tun, um das Essen zu retten? Seine Freunde, die sich mittlerweile am Küchentisch eingefunden hatten, gaben ihm wie immer untaugliche Ratschläge: Claudia Roth bestand auf Mund-zu-Mund-Beatmung, aber der Anblick des Fischmauls hätte selbst einen reanimierten Hummer sofort wieder ins Koma fallen lassen; Fritz Kuhn wusste, dass man den Patienten erst einmal in eine stabile Seitenlage bringen sollte, doch war er selbst vom Rotwein bereits in eine Schräglage geraten, die nichts Gutes verhieß; Joseph Fischer schlug brummend vor, die Fühler in eine Steckdose zu stecken und den Hummer per Elektroschock zu reanimieren, aus langjähriger Parteitagserfahrung wisse er, wie so etwas gehe. Schlauch war verzweifelt: Sollte er denn den Hummer einfach ausstopfen und an die Wand nageln, als Symbol der Vergänglichkeit allen Lebens? Oder als Symbol für ihn selbst, Rezzo Schlauch, den Inbegriff des faul in sich ruhenden Politikers? Ja, tatsächlich, dieser Hummer ruhte, und er ruhte in Frieden. Er hatte die Schere abgegeben und war in die ewigen Fischgründe eingegangen. Freund Hein – oder war es doch Käpt’n Iglo? – hatte ihn zu sich genommen.

Trauer legte sich über die Festgemeinde. Aber nur für kurze Zeit. Schließlich musste gehandelt werden, wie im Irak. Also schritt Schlauch zur Tat, warf das tote Tier ins kochende Wasser und taufte es auf den Namen Saddam Hummer. Dann marschierte er mit dem Topf voran und gemeinsam mit seinen grünen Freunden zum nahe gelegenen Ufer der Spree, um dort Saddam Hummer in einer ergreifenden Zeremonie an der Biegung des Flusses zu begraben. Eine Seebestattung wäre zwar die würdigere Lösung gewesen. Aber drei Finger in den stürmischen Nachthimmel gereckt, gelobte Rezzo Schlauch wenigstens feierlich, nie, nie wieder würde er den roten Meeresfreund ex-hummieren. RÜDIGER KIND