Friedlich in den Krieg

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

Vorbereitung auf den Irakkrieg: Routinemäßiger Umgang mit der Katastrophe

„Es macht überhaupt keinen Sinn, sich jetzt mit spekulativen Szenarien zu befassen.“ Regierungssprecher Béla Anda

Es muss auch gar nicht spekuliert werden. Keiner will den Krieg im Irak, aber alle bereiten sich darauf vor. Mit jener sturen Systematik, die Kleinkinder auf die Zerstörung ihres Spielzeugs anwenden. Hoch konzentriert – als gelte es, ein Rennauto zielgenau gegen den Brückenpfeiler zu steuern. Peinlich darauf bedacht, keinen Fehler zu machen, der dem Gang der Dinge eine überraschende Wende geben könnte. Mit unerschütterlichem Gottvertrauen auf den schlechten Ausgang sind alle Beteiligten damit beschäftigt, den Unfall, den sie nicht haben wollen, Zug um Zug vorzubereiten, anstatt alles zu tun, um ihn zu vermeiden.

Die Regierungen verhalten sich regierungsgemäß. Sie sagen Ja oder Nein, aber sie sagen es ganz bewusst so, dass niemand auf die Idee kommen würde, ihnen zu vertrauen. „Es ist eine Art Dehnungstest für das gesprochene Wort – wie beteiligt man sich, ohne mitzumachen?“ (Frankfurter Rundschau). Die jeweiligen Oppositionsparteien passen sich dem Muster an und überlegen angestrengt, wie sie vorher noch der Regierung die Regierten abspenstig machen können. Die Ökonomen sind gespalten. Die einen rechnen den Zusammenbruch der Märkte, den Sturz der Aktienkurse, den Verfall der Sozialsysteme vor; die anderen tun genau das Gegenteil und entwerfen blühende Import- und Exportlandschaften, wenn der Fall erst einmal eingetreten und das Gröbste überstanden sein wird.

Die Zeitungsschreiber machen sich ihren Reim drauf und sehen sich von der einen wie der anderen Prognose darin bestätigt, dass das Unabwendbare tatsächlich nicht abwendbar sei. Die Verleger kalkulieren weitere erhebliche Verluste im Anzeigengeschäft ein und spekulieren gleichzeitig auf höhere Auflagen. Die Leser lesen Zeitung, prüfen Flugrouten und ändern ihre Urlaubsplanung. Missmutig, doch geschäftig stellt sich das Volk auf das wiederholt angekündigte und durchschlagend unaufhaltsame Ereignis ein. Keiner will es, aber alle warten darauf, dass es kommt. Selbst die ganz heftigen Neinsager organisieren schon Sternfahrten und ordern Sonderbusse für die große Demo am ersten Samstag nach dem Tag X.

Keiner will es? Doch, einer: George W. Bush will, dass Krieg geführt werde gegen den Irak. Wenn einer allein Krieg will, muss er sich viel einfallen lassen, um den Rest der Welt auf seine Seite zu bringen. Bush lässt sich sehr viel einfallen, darum unterscheidet sich die gegenwärtige Vorkriegsphase beträchtlich von allen anderen Vorkriegsphasen der neueren Geschichte, vielleicht der Geschichte überhaupt.

Bush kann allein Krieg führen, irgendwelche Jasager braucht er dafür nicht. Aber Bush ist ein besonderes Kaliber: Er staunt über die Neinsager, und genau genommen will er, dass ihn gerade die Neinsager in aller Welt zum Kriege drängen. Dazu benötigt er vor allem die Bedenkenträger im UN-Sicherheitsrat, die er davon überzeugt hat, sie seien die entschiedensten Kriegsgegner, wenn sie recht zügig eine Kriegsresolution nach der anderen verfassen. Der Sicherheitsrat hat jetzt begriffen, wie man mit allen möglichen Hindernissen einen Krieg verzögert, nur um ihn mit tödlicher Sicherheit eintreten zu lassen, wenn es so weit ist, d. h., wenn Bush es will.

Auch die Waffeninspektoren der UN, die im Irak nach Massenvernichtungswaffen suchen sollen, haben ihre Rolle gut gelernt. Da sie friedliebende Menschen sind, hoffen sie, dass sie keine Massenvernichtungswaffen finden werden. Sie gucken sogar ganz genau in Saddams Palästen nach und sind jedes Mal froh, wenn sie nichts gefunden haben. Sie wissen aber auch ganz genau, dass es ihnen und dem Frieden gar nichts nützt, nichts zu finden, weil Bush sowie schon weiß, dass sie nichts finden werden. Er wartet ja darauf, um den Neinsagern im Sicherheitsrat und in der ganzen Welt mitteilen zu können, dass Saddam gelogen und seine Massenvernichtungswaffen nur gut versteckt hat. Auch für diesen Fall gibt es schon eine Resolution. Saddam selbst ist es wahrscheinlich egal, ob die Inspektoren seine Verstecke aufstöbern oder nicht, denn obwohl er den Krieg aus persönlichen Gründen wohl gern vermeiden würde, stimmt er mit Bush darin überein, dass er auf Teufel komm raus stattfinden wird.

Auch im Umgang mit den Kriegsgegnern unter den Verbündeten entwickelt Bush eine bemerkenswerte Fantasie. Den Neinsager Schröder hat er im Sommer wissen lassen, er sei sehr verstimmt. Aber das war vor der Wahl. Der Wahlkampf hat unseren Kanzler darin bestärkt, beim Nein zu bleiben, und sein Nein hat ihm geholfen, die schon verlorene Wahl doch noch zu gewinnen. Nach der Wahl in Deutschland war Bush immer noch ziemlich verstimmt, aber Schröder hat über sein Nein mittlerweile genauer nachgedacht. Bush sieht sich jetzt nicht nur eingeladen, sondern nahezu genötigt, den deutschen Luftraum und sein Kriegsspielzeug auf deutschem Boden zu nutzen. Darum darf Schröder Kriegsgegner bleiben, ohne dass es allzu sehr auffällt – aber auch ohne dass es allzu viel nützt. Im Gegenteil: Die Kriegsvorbereitungen schreiten voran. Und Bush schmollt zwar noch ein bisschen, ist aber nicht mehr ernsthaft verstimmt.

An dieser Stelle muss man noch einmal an den absurden Vergleich zwischen Hitler und Bush erinnern, mit dem sich die damalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin als Spielverderberin erwiesen und ihr politisches Ende besiegelt hat. Dabei hatte sie in einem Punkt sogar Recht, was ihrer Karriere vermutlich besonders schädlich war. Auch Hitler stand 1939 mit seiner Kriegsbegeisterung ziemlich allein. Er hatte den Krieg von langer Hand geplant und seinen Erfolg als Politiker von ihm abhängig gemacht. Und wie Bush heute verkündete Hitler damals, gegen alles Böse auf der Welt zu Felde zu ziehen.

Bush schmollt noch über Schröder,ist aber nicht mehr ernsthaft verstimmt

Hier aber hören alle Parallelen schon auf. Denn der Rest des damals agierenden Personals ist so wenig mit dem heutigen zu vergleichen wie Polen mit dem Irak. Zudem musste Hitler den Friedensengel spielen, um dann umso brachialer zuzuschlagen. Die Deutschen waren anfangs darüber noch weniger begeistert als heute die Amerikaner, aber sie haben trotzdem mitgemacht.

Bush spielt gar nicht erst den Friedensengel, sondern sagt gleich, dass er Ordnung schaffen will. Er sieht sich selbst als aufrechten Kerl und kann gar nicht verstehen, dass er in diesem Punkt einen großen Teil der Welt gegen sich hat. Daher setzt er seine Macht, seinen Einfluss und eben auch seinen Einfallsreichtum dafür ein, aus Kriegsgegnern, wenn schon nicht Kriegsenthusiasten, so doch Kriegsunterstützer zu machen. Das gelingt ihm mit dem UN-Sicherheitsrat, mit den westeuropäischen Verbündeten, mit Russland und auch mit den gemäßigten Vertretern der islamischen Welt bisher recht gut.

Und weil das alles so gut läuft, ist heute die Welt voller Leute, die gegen den Krieg sind und gleichzeitig alles tun, um die Chance, dass er stattfindet, nicht verstreichen zu lassen. Wie gesagt, eine gewisse Sturheit gehört dazu. Ein routinemäßiger Umgang mit der Katastrophe. Normalerweise werden so auf Teststrecken Karambolagen mit tödlichem Ausgang simuliert.