„Ein selbst gemachtes Problem“

Der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels zum Zustand der SPD: Der Kanzler gibt dem Druck von außen nach, die Basis wundert sich, die Stoßrichtung der Regierung ist unklar

taz: Herr Bartels, Ihr Parteikollege, Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel, vermisst ein Konzept beim Kanzler. Sie auch?

Hans-Peter Bartels: Das sind harte Worte eines Wahlkämpfers, der es im Augenblick nötig hat. Aber richtig ist, dass es nicht besonders sinnvoll war, an 237 Schrauben gleichzeitig zu drehen, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Statt dieser Fülle von Einzelmaßnahmen wäre es klüger gewesen, sich vielleicht auf eine Steuererhöhung zu konzentrieren.

Welche?

Ich möchte hier keinen weiteren Vorschlag produzieren.

Weil Schröder ein Ende der „Kakophonie“ in der SPD verordnet hat?

Die „Kakophonie“ ist ein selbst gemachtes Problem. Als es Kritik an den hektischen Einzelmaßnahmen gab, hat unsere Führung gesagt, dann macht doch bessere Vorschläge. Die kamen natürlich. Aber die Diskussion war dann natürlich auch nicht recht.

Am hitzigsten ist die Diskussion zur Vermögensteuer.

Ich fand die Einigung sinnvoll, dass die Länder versuchen sollten, diese Ländersteuer im Bundesrat durchzubringen. Und dass der Bundestag zustimmt, falls es klappt.

Inzwischen hat der Kanzler diesen Kompromiss aber aufgekündigt. Wie erklären Sie sich den Sinneswandel?

Es hat Druck von außen gegeben.

Wenn der Kanzler gegenüber den Lobbyisten nachgibt, haben Sie dann noch Hoffnung auf geordnete Politik?

Ja. Aber es muss mehr Linie rein. Das ist uns vor vier Jahren nach einer ersten Diskussions- und Nachbesserungsphase ja auch gelungen.

Und wie wird die jetzige Nachbesserungsphase in Ihrem Wahlkreis gesehen?

Die Basis wundert sich über die Vielstimmigkeit ihrer erfahrenen Leute. Unsere Mitglieder würden ja gern die Regierung verteidigen – aber die Stoßrichtung ist nicht klar.

Wie sollte denn die klare Linie des Kanzlers aussehen?

Wir können nicht die Wirtschaftspolitik der letzten vier Jahre fortsetzen. Sie war zwar nach den Anfangswirren langfristig angelegt – aber die Steuersenkungen haben nichts gebracht. Da bin ich radikal empirisch: Die rot-grüne Steuerreform war für den Staat enorm teuer, doch der Gegenwert fehlt, es wurden keine Arbeitsplätze geschaffen. Die Auslandsinvestitionen haben sich zwar verzehnfacht – aber damit wurden meist deutsche Firmen aufgekauft. Investitionen in Arbeitsplätze: Fehlanzeige. Das ist aber kein rein deutsches Problem: Die Steuersenkungsprogramme haben in allen Ländern zu Einnahmeausfällen geführt, das Wirtschaftswachstum blieb mäßig.

Finanzminister Eichel will aber an der geplanten Steuerreform festhalten.

Das muss er auch, das gehört zur Verlässlichkeit von Politik. Aber den Spitzensteuersatz sollte er nicht – wie angekündigt – auf 42 Prozent senken, sondern höchstens auf 45 bis 46 Prozent. Das würde gut 6 Milliarden Euro bringen.

Glauben Sie, dass die Grünen mitmachen würden?

Der wirtschaftsliberale Flügel bestimmt nicht. Aber so klein die Partei ist, sie hat ja unterschiedliche Strömungen.

Auf wen rechnen Sie denn?

Joschka Fischer ist der Super-Exponent des sozialdemokratischen Flügels bei den Grünen.

Aber er äußert sich kaum.

Muss er auch nicht immer. Er ist ja nicht Parteivorsitzender.

Wäre das nicht auch ein Modell für Schröder? Nur Kanzler zu sein? Dann hätte er vielleicht weniger Ärger mit der Partei?

Nein, Schröder ist zu Recht Parteivorsitzender. Er ist in einer starken Rolle, die zuletzt Willy Brandt hatte.

Und der ist in seiner Doppelrolle gescheitert.

Woran immer Brandt als Kanzler gescheitert ist: Er war einer der bedeutendsten Parteivorsitzenden der SPD. Und auch Schröder hat eine historische Aufgabe. Er muss dafür sorgen, dass sozialdemokratisches Regieren nicht eine Episode bleibt.

Ist dies ein Bekenntnis zu Rot-Grün? Oder könnte sich sozialdemokratisches Regieren demnächst auch in einer großen Koalition vollenden?

Koalitionsfragen stellen sich immer nur konkret. Die konkrete Antwort heute ist die Koalition des 22. Septembers.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN