Schily den Spiegel vorhalten

Schlingensief holte für sein Stück „Hamlet“ angeblich aussteigewillige Jungnazis auf die Bühne. Peter Kern hat die Produktion mit der Kamera begleitet. Kampnagel zeigt jetzt den Film

von DIETRICH KUHLBRODT

Auf der Bühne, in Christoph Schlingensiefs Hamlet, spielte Peter Kern den König, debil, massig, veralkt. Shakespeares Sätze verlieren sich im Gebrabbel. Das war eindrucksvoll, aber auch praktisch, weil Kern bis zum Probenende den Text nicht gelernt hatte – oder so tat als ob. Jedenfalls war er hellwach genug, um zwischen den Proben im Theater herumzulaufen, die Kamera am Auge, um herauszufinden und festzuhalten, was das heißt, wenn die angeblich aussteigewilligen Naziskins das Stück im Hamletstück spielen. Bei Shakespeare hat dieser Part die Funktion, im konspirativen Einvernehmen mit dem Königssohn dem Hof den Spiegel vorzuhalten.

Aber dürfen Nazis das? Premiere hatte Schlingensiefs Hamlet vor einem Jahr an Christoph Marthalers Zürcher Schauspielhaus. In Berlin gabs an der Volksbühne (Ost) ein Gastspiel, und einige Zuschauer bauten sich nach der Vorstellung im Foyer hinter einer dreißig Meter langen Tischreihe auf, um Bedenken vorzutragen respektive auszuräumen: darunter ein SPD-Fraktionsvorsitzender, einer von den Kofinanzierern der Produktion (die Bundeszentrale für politische Bildung) und ein Popphilosoph.

Peter Kern war dabei, unsere Politkings zu filmen. Ich sollte die Podiumsdiskussion leiten. Aber es gab nichts zu leiten; die Statements schnurrten ab. Ästhetisch war das Theaterstück auf gleiche Weise abgelaufen. Jeder machte sein Ding. Bibiane Beglau, die Ophelia, posierte als Filmdiva. Hamlet lebte transvestitische Neigungen aus, und der Regisseur verlegte sich unvermutet aufs Schattentheater: Stilbrüche ohne Ende.

Doch aus den Stilbrüchen folgte mitnichten der politische Bruch der Darsteller mit ihrer Vergangenheit. Neben den Wichtigleuten von Politik, Kultur und Pop saßen auf dem Podium artig Schlingensiefs Nazis. Ich kam mir vor wie Wilhelm Buschs Mutter und blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum. Nun hätte im Foyer der Volksbühne Oliver Tolmein, oder wen es da sonst gibt, aufstehen und was tun können. Doch es war voll, Gedränge auf den Treppen, bloßes Warten auf etwas. Das nicht kam.

Beiläufig hatte gerade die junge Rechtsrockfrau gesagt, ihr sei soeben klar geworden, dass sie nach ihren Hamlet-Bühnen-Erfahrungen nicht aus der Rechtsskinszene aussteigen werde. Gabs dazu nichts zu sagen? Wurde sie nicht wahrgenommen? Der Mensch von der Bundeszentrale für politische Bildung sinnierte vor sich hin. Aber grade darum wars doch gegangen: um Schilys Einfall, das „Neonaziproblem“ finanziell zu lösen, mit Geld für Aussteigewillige, die sich dann in Projekten bewähren sollten, Stichwort „Resozialisierung“. Wie in Schlingensiefs Hamlet.

In Kerns Film Hamlet – This is Your Family, einer Dokumentation mit Spielelementen, lässt sich der Rheinländer Thorsten Lemmer die Haare wachsen. Er hat Schily angeboten, ihm seinen Rechtsrock-Laden für eine Million Mark zu verkaufen; dann wäre er aus der Nazi-Szene raus. „Fein das“, sagt da wer. Das war ich gewesen. War das nicht ein toller Deal? Nazis rein in die Schily-Projekte und in die Bühnen-kunst. Und gleichzeitig Nazis raus.

Diese Geld- und Politdreckwäsche bringt Peter Kern in Hamlet – This is Your Family ohne Federlesens heraus. Doch lässt sich das Politdilemma auch designmäßig lösen. Das hat die Edition Suhrkamp mit ihrem Printwerk geschafft. Auf dem Titelcover steht: „Nazis raus!“, auf der Rückseite des Buchs: „Nazis rein!“ Oder umgekehrt. Keiner, der den Band, den er in der Hand hält, nicht zweimal wendet. Die heftigste Irritation hatte Schlingensief, wie immer, im Vorfeld ausgelöst: aus dem Theater raus, in die Straßenszene rein, und die alten Spießerfaschos sagen in die Kamera, was den Jungnazis passt. Auch diese Aktionen hat Peter Kern für den Film aufgenommen.

Sa, 14.12., 20.30 Uhr, Kampnagel, k2