Wald nicht tot, aber ständig krank

Statistik: Knapp zwei Drittel der Bäume geschädigt. Außer Nadelhölzern jetzt auch Buchen betroffen. Wald in Süddeutschland schlimmer dran als im Norden. Schuld sind Verkehr und Landwirtschaft. Umweltschützer: Böden „dramatisch verschlechtert“

von KATHRIN BURGER
und HANNA GERSMANN

„Die Bundesregierung muss sich konsequenter für den Schutz des Waldes einsetzen“, forderte gestern der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Hubert Weinzierl. 60 Prozent des Waldes sind immer noch krank. Der Gesamtzustand sei Besorgnis erregend, die Schäden befänden sich auf hohem, wenn auch stabilem Niveau. Nach Eiche, Kiefer, Fichte und Tanne seien nun vor allem auch Buchen gefährdet. Das sei ein deutliches Alarmsignal, so Weinzierl. Die Fakten stammen aus den von den Bundesländern ermittelten Waldschadensstatistiken für das Jahr 2002, die der Deutsche Naturschutzring und die Schutzgemeinschaft des Deutschen Waldes (DSW) jetzt ausgewertet haben.

In den Achtzigern spukten den Menschen noch Horrorszenarien von schwarzen Baumleichen und blattlosen Wäldern durch die Köpfe. Damals brachte die Bundesregierung den „Waldschadensbericht“ heraus. Heute heißt er „Waldzustandsbericht“ und sorgt kaum noch für Aufsehen, wenn er nächste Woche mal wieder vorgestellt wird. Die Waldberichte sind nicht mehr skandalträchtig, lassen aber dennoch nicht aufatmen, so die Umweltschützer gestern.

„Jetzt haben sich auch die Böden dramatisch verschlechtert“, sagt DSW-Geschäftsführer Bernd Krebs. Ihr Säuregehalt habe sich in den letzten Jahrzehnten verhundertfacht. „Irgendwann kippt dann das Ökosystem um.“ Schon jetzt würden die Feinwurzeln der Bäume absterben, der Wald könne keine Schadstoffe mehr filtern. Giftige Stoffe wie Aluminium, Mangan und Nitrat gelangten ins Grundwsser – und gefährdeten so auch das Trinkwasser. Bei Orkanen fielen die kranken Bäume dann leichter um.

Zu den Waldkillern zählen vor allem von Menschen verursachte Luftschadstoffe: Zu etwa 60 Prozent seien heute Stickoxide aus dem Auspuff verantwortlich, erläutert der DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen. Mit Regen würden sie zu Salpetersäure und versauerten so den Boden. „Deshalb plädieren wir für eine kontinuierliche Erhöhung der Mineralölsteuer um 25 Cent pro Jahr“, so Röscheisen. Aus der Landwirtschaft würden vor allem Ammoniak aus der Gülle und Düngemittel zu Buche schlagen. Aus diesem Grund müsse auch überlegt werden, Düngemittel mit einer Abgabe zu belegen, sagte Röscheisen.

Von Waldsterben sprechen Experten, wenn Bäume großflächig erkranken, Nadeln der Fichten und Tannen vergilben, Baumkronen licht werden. Zu einem sprunghaften Anstieg geschädigter Bäume kam es von 1983 auf 1984. Wissenschaftler folgerten aus dieser Entwicklung, dass in zehn Jahren der Wald tot sein werde. Doch das Berechnete trat nicht ein. Seit 1996 bleibt der Zustand der Wälder stabil.

Grob gegliedert geht es den Bäumen im Süden dabei schlechter als im Norden. In Niedersachsen sind fast 60 Prozent der Waldflächen gesund, in Bayern gerade mal knapp 30 Prozent. Schuld am Negativrekord ist der starke Durchgangsverkehr in den Süden, so Weinzierl. Dafür sind die Bäume in Bayern aber nicht mehr so heftig krank. 2001 wiesen 25 Prozent der Bäme deutliche Schäden auf, 2002 nur noch 21 Prozent.

„Die Wälder im Erzgebirge sind heute faktisch abgestorben“, berichtete Anfang Oktober der Spiegel. Im Osten stirbt vor allem der Laubwald als Folge jahrelanger Verschwefelung durch Braunkohlewerke. Dennoch geht es „dem Wald dort heute im Schnitt fast besser als im Westen“, sagt Bernd Krebs und begründet, „weil es weniger Verkehr gibt und viele Fabriken aufgegeben haben“. So legte etwa in Mecklenburg-Vorpommern die gesunde Waldfläche gegen den Trend um 2 auf 46 Prozent zu.

Die Länderminister sprechen in den Waldberichten durchweg von „Entspannung“ oder sogar von einem „Positivtrend“. Rudolf Fenner von Robin Wood aber gibt zu bedenken: „Dem Wald geht es seit Jahren gleich bleibend schlecht, und zwar schlechter als in den Achtzigern. Damals waren rund 55 Pozent krank.“