„Kein Experte war dagegen“

Heute vor einem Jahr starb der Drogendealer Achidi John. Die Hamburger Polizei hatte ihm ein Brechmittel eingeführt. An der Praxis der zwangsweisen Verabreichung hat sich seitdem kaum etwas geändert – auch nicht in anderen Bundesländern

aus Berlin SEBASTIAN STOLL

Eigentlich sollte es nur ein Routineeinsatz werden, doch am Ende war Achidi John tot: Am 9. Dezember 2001 wurde der Kameruner von der Hamburger Polizei verhaftet – dringender Tatverdacht des Drogenhandels. Da die Polizeibeamten bei ihm noch hastige Schluckbewegungen ausgemacht hatten, sollte ihm ein Brechmittel verabreicht werden – um die vorerst außer Reichweite gebrachten Drogen sicherzustellen. Doch der 19-Jährige wehrte sich, wurde von den Polizisten fixiert. Der Pflanzensirup Ipecacuanha wurde mittels einer Magensonde zwangsweise eingeführt. John spuckte 41 Rauschgiftkugeln aus, dann brach er zusammen. Drei Tage später starb er im Universitätskrankenhaus Eppendorf an Herzstillstand.

Heute jährt sich Johns Tod zum ersten Mal. Die zahlreichen Gegner der Drogenpolitik des Hamburger Senats gedenken des Vorfalls mit einer Demonstration. Motto: „Brechmitteleinsätze stoppen!“ Genau diese Konsequenz wurde aus Johns Tod bisher nicht gezogen – weder in Hamburg noch im sonstigen Bundesgebiet. So haben Hamburger Polizeibeamte seit Sommer 2001 – also noch zu Zeiten eines SPD-geführten Senats – das Recht, mutmaßlichen Dealern Brechmittel zu verabreichen, notfalls auch unter Zwang. Seit Ronald Schill genügen für einen Einsatz sogar geringste Verdachtsmomente – und das war im Jahr seit Johns Tod rund 200-mal der Fall. Zurückhaltung beim Einsatz des Pflanzensirups ist dabei erst seit kurzer Zeit gegeben. So soll es in den vergangenen drei Wochen zu keinem einzigen Brechmitteleinsatz gekommen sein. Begründung der Justizbehörde: Viele Dealer säßen mittlerweile im Gefängnis, das Medikament sei Indiz für die erfolgreiche Drogenpolitik des Hamburger Senats.

Andere Bundesländer, die Brechmittel einsetzen, reagierten auf Johns Tod vorsichtiger: So fror Niedersachsen die Verabreichung der Substanz Apomorphin Anfang dieses Jahres tatsächlich ein – selbst wenn sie in den Jahren zuvor lediglich 23-mal zum Einsatz gekommen war. Seit einer Anhörung im Innenausschuss des Landtages im Juni ist die Vergabe allerdings wieder gestattet. „Es gab keinen Experten, der sich gegen das Brechmittel ausgesprochen hat“, sagte der Sprecher des Landesinnenministeriums, Klaus Engemann, der taz. Auch in Nordrhein-Westfalen wird der Einsatz von Brechmitteln wieder praktiziert, nur das Land Berlin stellt sich noch quer, aber wohl nicht mehr lange. „Die künftige Vorgehensweise befindet sich noch in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Justiz“, so die Sprecherin der Innenverwaltung, Henrike Morgenstern.

Für die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heineke, die die Kampagne gegen Brechmitteleinsatz berät, ist das Vorgehen der Behörden „völlig verfassungswidrig“. Die Rechtsgrundlage für den Einsatz von Brechmitteln sei in sämtlichen Ländern der Paragraph 81 a der Strafprozessordnung. Dieser gestatte der Polizei die körperliche Untersuchung eines Beschuldigten. „Das Herausholen von Kügelchen ist aber keine körperliche Untersuchung, sondern ein Eingriff in die Gesundheit“, und stelle daher notwendigerweise Körperverletzung dar. Zudem sei auch die Rechtsprechung im vergangenen Jahr wirr geblieben: Niemals sei der Einsatz von Brechmittel isoliert verhandelt worden, sondern stets im Zuge eines Drogenverfahrens. „Kein Betroffener hat sich bislang wegen des Einsatzes an ein Gericht gewandt. Es kann sein, dass sie die Sache einfach vergessen wollen.“ Zumeist seien die Verdächtigen junge Schwarze, die nach „rassistischen Kriterien“ für den Brechmitteleinsatz ausgewählt worden seien. Weiße Deutsche bekämen die Substanz so gut wie nie verabreicht.

Auch im konkreten Fall Achidi John gab es kein Gerichtsverfahren, das die Persönlichkeitsrechte Betroffener zum Inhalt gehabt hätte. Genau genommen gab es überhaupt kein Gerichtsverfahren. Die Hamburger Staatsanwaltschaft leitete lediglich Vorermittlungen ein, die im Juli eingestellt wurden. John habe eine schwere Herzerkrankung gehabt, heißt es in der Begründung. Diese hätten die beteiligten Mediziner und Beamten aufgrund seiner guten körperlichen Verfassung nicht feststellen können.