moderne sklaven
: „Nur der Geruch ist ein bisschen bäh“

Die Latexpraktikantin

„Zwäng dich rein und lächle!“ Jennifer M.* beschreibt die Ansagen ihres Chefs beim Fotoshooting in ihrer Praktikumsstelle. Dabei ist „Rubberangel“ keine Modelagentur, sondern eine Schneiderwerkstatt für Latexmode. In der winzigen Zweiraumwohnung in einem Schöneberger Hinterhof sitzt Ulrik von Kotzebue mit seinen zwei Praktikantinnen vor einem Monitor und beschaut digitale Schnappschüsse, die er mit den zwei Frauen aufgenommen hat. Heute hat er die neue Schülerpraktikantin fotografiert. Regina Linke ist zwar erst fünfzehn, sieht aber in dem hautengen langen Latexkleid ziemlich erwachsen aus.

Die Fotografie ist neben Latex wohl die zweite Leidenschaft von Ulrik von Kotzebue, der nach einer gescheiterten Karriere als Elektroingenieur sein Geld mit der Fertigung und dem Verkauf unterschiedlicher Produkte aus dem Gummibaumharz verdient. Mehr schlecht als recht. Deshalb bekommen die Praktikantinnen bei ihm auch kein Gehalt. Jennifer M.* ist ohnehin davon ausgegangen, leer auszugehen. Sie arbeitet erst einmal für acht Wochen hier. Die gelernte Damenschneiderin ist seit zwei Jahren arbeitslos gemeldet. Sie bekommt Unterstützung von ihrem Vater und hat gerade zusätzlich Sozialhilfe beantragt.

In der Branche sei es sehr schwer, ohne Berufserfahrung Arbeit zu finden, sagt sie. Bei kleineren Betrieben wie diesem kann sie fehlende Praktikumsvergütung verstehen, aber bei größeren Konzernen findet sie es schlicht „dreist“: „Es sollte ein Gesetz geben, dass Praktikanten zumindest einen Blumenstrauß oder ein Wochenende auf dem Ferienhaus von der Firma bekommen.“

Bei Rubberangel gibt es immerhin eine materielle Gegenleistung. M.* darf sich während ihres Praktikums auch mal am teuren Latexstoff vergreifen. Obwohl die 22-Jährige bisher nur auf herkömmlichem Wege in Kontakt mit dem Gummiprodukt kam, kann sie sich mittlerweile vorstellen, mal in Latexkleidung wegzugehen. Nur der Geruch sei „ein bisschen bäh“. Ansonsten trage sich der schwere Stoff „wie Wasser auf der Haut. Ein Lebensgefühl. Man kommt sich ganz besonders vor.“ Ulrik von Kotzebue macht aber auch negative Erfahrungen mit dem extravaganten Outfit: „Wenn ich als Mann Latex trage, werde ich gleich als Schwuler angemacht.“ Für sein Unternehmen sei es wichtig, nicht in die Sex-Shop-Ecke gedrängt zu werden.

Rubberangel ist spezialisiert auf Privatkunden, fast alle Stücke sind Einzelanfertigungen. Vom Body mit Beinchen bis zum aufblasbaren Schlafsack „mit Arbeitsöffnung“. Der Vertrieb erfolgt in Eigenregie über das Internet. Ein Jahr lang versuchte von Kotzebue es auch mit einem Ladengeschäft, aber die Kunden bevorzugten die Anonymität des Internets. Dort bietet er nun auch Foto-CDs an, zum Teil mit Bildern ehemaliger Praktikantinnen. Jene arbeiten nach ihrem Praktikum oft weiter für Rubberangel. Dann allerdings für Geld. Ihnen verdankt von Kotzebue ganze Kollektionen.

Jennifer M.* erhofft sich durch ihre Latexerfahrungen auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Kollegen und Kolleginnen. Mit den neuen Kenntnissen „kann ich auch Taucheranzüge machen“, sagt sie. Irgendwann möchte sie eine berühmte Designerin sein, ein kleines Geschäft haben und ihre Ideen umsetzen. Vorerst muss sie sich mit dem Praktikantenstatus begnügen. Neben der Schneiderei bedeutet das auch Telefondienst, die Post erledigen und Rechnungen schreiben.

Bevor von Kotzebue die Praktikantinnen eigene Kreationen schneidern lässt, müssen sie sich erst einmal mit dem empfindlichen Material vertraut machen. Gerade klebt Jennifer M.* einen eigenwilligen Kundenwunsch zusammen: eine schwarze Herrenstrumpfhose aus Latex. SEBASTIAN HEINZEL

Ob bei der Latexschneiderei oder im Bundestag, Praktika gibt’s überall, Geld fast nie. Doch ohne die Schnupperkurse ist eine Bewerbung chancenlos. Das bedeutet oftmals eine 40-Stunden-Woche, Lohn ist allein die Hoffnung auf die Zukunft. Die taz stellt in dieser Woche einige der neuen Billigarbeiter vor.