zwischen den rillen: Richmond Fontaine, Azure Ray und The Good Life
United States of Americana
Jeder Anfang birgt die Aussicht auf ein Ende. „Drop me off / You can leave me there in Winnemucca“, singt Willy Vlautin, und dann setzt eine sanft verzerrte Gitarre ein, wie man sie aus dem Country-Radio kennt, und beide zusammen versprechen, dass Winnemucca in Nevada so gut wie jeder andere Ort ist, um zurückgelassen zu werden.
Es braucht nicht viel, die mythische Verklärung des Westens heraufzubeschwören. Im Flirren der sechs Saiten halten sich Träume versteckt, die nur darauf warten, von Mitteleuropäern noch einmal geträumt zu werden. Vlautin stammt aus Reno, einem Ort mit einem mindestens ebenso westerntauglichen Namen, und „Winnemucca“ ist bereits das vierte Album seiner Band Richmond Fontaine. Auf dem sind zu finden: Fingerpicking, Slide-Gitarre, eine Rückkopplungs-Kaskade, die an das flimmernde Licht über der Wüste erinnert – kurz gesagt also ziemlich alles, was man einer Gitarre antun kann, um dieses verklärte Aufleuchten in den Augen Anfangzwanzigjähriger zu wecken, bevor die von Fahrten auf endlosen Highways, kakerlakenverseuchten Motelzimmern und Leihwagen mit durchgeschlagenen Stoßdämpfern zu erzählen beginnen. So viele Klischees kann es gar nicht geben, dass sie nicht immer wieder bedient würden von willfährigen amerikanischen Gitarrenhaltern. Für die selbst ist Americana zwar weitestgehend authentisch – eher sogar das ehrenvolle Bewahren von Traditionen, die drohen in Vergessenheit zu geraten. Auf dieser Seite des Großen Teichs aber vermischen sich schnell Sehnsucht und Ironie, Distanz und Fernweh, und aus Alternative Country wird Americana wird Katalogmusik, zu der Kühe auf die Weide getrieben werden, während im Hintergrund John Ford rotbraune Tafelberge in einen Sonnenuntergang taucht.
Dass Richmond Fontaine nur in zwei Songs überhaupt E-Gitarren einsetzen, zeigt, wie sehr sich dieser Reflex mittlerweile verselbständigt hat. Was der Band aber herzlich egal sein kann, ist ihr doch eine Platte von geradezu klassischer Schönheit gelungen. Klischee as Klischee can be – und sollen sie doch.
Wie anstrengend es sein kann, sich bewusst nicht in den typischen Fallstricken der Gattung verfangen zu wollen, zeigen die letzten Veröffentlichungen des in Omaha, Nebraska, beheimateten Labels Saddle Creek. Das schenkte der Welt mit Bright Eyes die aktuell wundervollste Ausformung dessen, was ein romantischer Junge, seine Gitarre und ein paar Kumpels zusammen so anrichten können. Da dieses Modell, mehr als drei Jahrzehnte nachdem legendäre Figuren wie Gram Parsons oder The Band es zu definieren halfen, nicht mehr ganz zeitgemäß scheint, sind die Forschungsarbeiten im Gange: Azure Ray kommen zwar aus demselben Stall, wurden gar von Conor Oberst alias Bright Eyes höchstselbst zu Saddle Creek gebracht, entsprechen aber schon in der Besetzung nicht den genreüblichen Vorgaben eines Jungshaufens, der in der Lage ist, an einem Probennachmittag einen Kasten Bier leer zu trinken. Stattdessen schwingt sich Orenda Fink und Maria Taylor, ein Duo, auf der EP „November“ zu Harmoniegesängen auf, die eher Etüde sind als Elegie, eher sphärisch als sentimental. Die akustischen Gitarren markieren nur mehr den Ursprung dieser Musik. Lieber werden die Blaupausen der Roots mal mit Cello, mal mit Orgelschlieren nicht nur neu instrumentiert und neu entworfen, sondern auch berückend schön wieder belebt.
Radikaler wenden sich The Good Life von den gewohnten Americana-Markenzeichen ab: Die Zweitband von Tim Kasher (Cursive) traut auf „Black Out“ keinem Klischee, das sie nicht selbst ausgeschlachtet hat: Immer wieder gemahnen Melodieführungen an Britpop, singt Kasher wie Robert Smith von The Cure und schließlich zirpt vorsichtig Elektronik, um das Spiel der breitwandigen Schrammelgitarren aus dem allzu selbstgefälligen Gleichgewicht zu bringen. Fast scheint es, als wollten The Good Life der Americana den Rückzug zu den eigenen Wurzeln abschneiden. Schließlich sind dies die Worte, mit denen „Black Out“ beginnt: „Yesterday came and went / And I wasn’t present.“ Verbrannte Gitarrenhälse hinter sich lassen und dann auch noch so tun, als sei man nicht dabei gewesen. Aber was tut man nicht alles für einen neuen Anfang.
THOMAS WINKLER
Richmond Fontaine: „Winnemucca“ (El Cortez/Indigo); Azure Ray: „November“ (Saddle Creek/EFA); The Good Life: „Black Out“ (Saddle Creek/EFA)
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