Schluss mit Soli!

Die Absichten von Bert Rürup bedeuten eine Fortsetzung der gesellschaftlichen Entsolidarisierung

BERLIN taz ■ Kaum war die Rürup-Kommission ernannt, da hat ihr Vorsitzender schon in diversen Interviews angekündigt, was er sich vorstellt. Dazu gehört zentral: Die Arbeitgeber sollen entlastet werden. Die Kosten für die Krankenkassen werden zwar weiter steigen – aber damit sollen die Unternehmer nichts mehr zu tun haben.

Zwei Modelle kann sich Rürup vorstellen. Variante 1: Die Arbeitgeber zahlen ihren jetzigen Anteil am Krankenkassenbeitrag als „Barlohn“ an ihre Beschäftigten aus. Diese müssten sich dann wiederum komplett selbst versichern. Wenn die Kassen später ihre Beiträge erneut erhöhen sollten, wäre dies nur noch ein Problem der Arbeitnehmer.

Variante 2: Die Krankenkassen zahlen nur noch für einen reinen „Grundleistungskatalog“. Ein Sportunfall wäre dann ein Privatrisiko, das privat zu versichern ist. Gleiches würde für einen Schwangerschaftsabbruch oder auch für Zahnersatz gelten.

Die Privatisierungabsichten bedeuten: Die gesetzlich Versicherer werden erneut bestraft – zudem setzt sich die Entsolidarisierung fort. Dazu ein paar Zahlen: Der durchschnittliche Beitragssatz für die Krankenversicherung ist zwischen 1975 und 2000 um 38 Prozent gestiegen – die Gesundheitsausgaben insgesamt haben nur um 10 Prozent zugenommen. Das bedeutet: Immer weniger Arbeitnehmer zahlen für immer mehr Menschen.

Die Pflichtversicherten zahlen zum Beispiel für die deutsche Einheit. Sie finanzieren die Arbeitslosen und Rentner im Osten. Konsequenz: 1991 lagen die Sozialversicherungsbeiträge noch bei 35,3 Prozent, momentan sind es 41,3 Prozent. Tendenz stark steigend.

Aber die Pflichtversicherten zahlen auch für Arbeitslose im Westen. So müsste eigentlich der Bund für die Renten- und Krankenkassenbeiträge aufkommen, die die Empfänger von Arbeitslosenhilfe verursachen. Doch schon vor zwei Jahren hatte man den Einfall, den Bundesbeitrag um 620 Millionen Euro zu kürzen. Diesen Coup will man nun wiederholen. Um die Haushaltslöcher im nächsten Jahr zu stopfen, sollen 2,3 Milliarden Euro bei der Arbeitslosenhilfe eingespart werden – indem man weniger an die Sozialkassen überweist.

Kein Wunder, dass die Sozialkassen klamm sind. Und daher ist man schon längst darauf verfallen, einige ihrer Leistungen zu privatisieren. Dazu gehört unter anderem die Zuzahlungen zu Medikamenten oder zum Zahnersatz. Auch die Riester-Rente ist eine solche Privatisierung von einstigen Kassenleistungen.

Und während so die Angestellten immer mehr zahlen – für sich und andere –, tragen andere Gruppen nichts bei: die Selbstständigen beispielsweise und die Freiberufler, die Beamten und die Bezieher von Mieteinkünften. Die Grünen haben daher vorgeschlagen, eine „Bürgerversicherung“ zu gründen, die alle zwangsversichert.

ULRIKE HERRMANN