Die Post geht nicht ab

Ein Plädoyer für die Liberalisierung der antiquierten deutschen Pornografiegesetze

von CORINNA RÜCKERT

In der Pornografiedebatte gibt es einen Aspekt, der bis heute aus der Diskussion ausgeklammert wird: das Versandhandelsverbot für Pornografie. Mit der Novellierung des Pornografieparagrafen (§ 184 StGB) im Jahr 1975 sollte in der Bundesrepublik der freie Zugang zu pornografischen Materialien für Erwachsene gewährleistet werden. Gleichzeitig wurden gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen, die den Konsum im Sinne des Jugendschutzes regeln und einschränken sollten. In der Folge dieser Gesetzgebung haben sich Handelszonen für pornografische Materialien etabliert, die den Verkauf auf spezielle Bereiche wie Pornoshops und -videotheken konzentrieren.

Mit seiner restriktiven Handhabung steht Deutschland mittlerweile isoliert im liberalen europäischen Umfeld. Länder wie Frankreich, Italien oder Holland haben keine Bedenken gegen die Freigabe von Pay-TV-Kanälen für Hardcore oder den Versandhandel mit pornografischen Materialien, was übrigens auch auf viele Bundesländer der puritanischen USA zutrifft. In Dänemark wurde sogar das Alter für die Freigabe des Konsums von Pornografie – den gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend – auf sechzehn herabgesetzt. Diese Entscheidung sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass Jugendliche ihre sexuelle Reife mit etwa sechzehn Jahren erreicht haben.

Wie unentschlossen dagegen die deutsche Gesetzgebung im Umgang mit Pornografie ist, zeigt sich besonders im Verbot des Versandhandels mit diesen Materialien. Mit der Begründung, dass die Post die Aushändigung von Paketen ausschließlich an den Empfänger nicht gewährleisten könne – sodass auch Kinder und Jugendliche versehentlich in den Besitz der für sie verbotenen Materialien gelangen könnten –, wird der Versand von Pornografie ausgeschlossen. Dieser Handhabung folgen ausnahmslos auch die anderen Versandanbieter und Kurierdienste wie UPS oder German Parcel.

Unberücksichtigt bleibt dabei, dass sowohl Einschreiben mit der Post als auch gesondert gekennzeichnete Versandstücke mit den Kurierdiensten ausschließlich für den Empfänger bestimmt werden können. Rätselhafterweise gilt der Jugendschutz beim häuslichen Konsum von ausgeliehenen Pornovideos oder sonstigen in Shops erstandenen Materialien als gewährleistet. Hier wird die Aufsichtspflicht der Erwachsenen für ausreichend erachtet, während sie bei Materialien, die per Versandhandel in den häuslichen Bereich gelangten, angezweifelt wird.

Gravierender als die anachronistische Bewertung von Jugendschutzkriterien ist die damit einhergehende Beschränkung der Konsummöglichkeiten auf den männlichen Teil der Bevölkerung. Ähnlich wie bei der Prostitution gibt es Schutzzonen, in denen Pornografie konsumiert oder erstanden werden kann: eine gesellschaftliche Handhabung, mit der Männer seit Jahrhunderten vertraut sind. Obwohl heute fast alle kulturellen und gesellschaftlichen Bereiche für Frauen zugänglich sind, zeigt sich im Umgang mit Pornografie, wie unterschiedlich das Konsum- und Rezeptionsverhalten von Frauen und Männern ist – ob es sich nun um sozialisierte Geschlechtsrollenzuweisungen handelt oder um biologische Geschlechtsunterschiede. Tatsache ist, dass Frauen zurzeit eine dezentere, verblümtere Form von Pornografie bevorzugen, die sie gern konsumieren würden, wenn es sie denn gäbe und sie auf konsumentinnenfreundliche Weise zugänglich wäre.

Die Freigabe des Versandhandels für Pornografie könnte aus diesem Dilemma herausführen. Wie das funktionieren kann, zeigen die Beispiele großer Versandhäuser wie „Male and Female“ in Holland oder „Good Vibrations“ und „The Sexual Library“ in den USA, die mit einer überwiegend weiblichen Klientel nicht nur Gewinn bringend arbeiten, sondern auch solchen Produktionsfirmen einen Absatzmarkt sichern, die sich auf den weiblichen Geschmack spezialisiert haben.

Dass dies auch in Deutschland funktionieren kann, beweist das Versandgeschäft der Beate Uhse AG. Obwohl diese lediglich Materialien mit einer Altersfreigabe ab sechzehn Jahren anbieten und versenden darf, floriert das Versandhaus – mit über dreißig Prozent weiblicher Klientel. Bei den Uhse-Produkten handelt es sich allerdings um zensierte Hardcore-Versionen, aus denen lediglich die expliziten Stellen herausgeschnitten werden. Kein Wunder also, dass sich in Deutschland bislang keine auf den Frauengeschmack spezialisierten Produktionsfirmen etablieren konnten. Es fehlt schlicht an einem kundinnenorientierten Vertriebssystem.

Ironischerweise haben die engagierten Antipornokampagnen der Achtzigerjahre weder die Konsummöglichkeiten der männlichen Klientel, noch die Umsätze des Pornomarkts einschränken können. Und schon gar nichts geändert haben sie an der Ausgrenzung der Kundinnen, die nach deutschem Recht eine Straftat begehen, wenn sie versuchen, pornografische Materialien aus Holland oder den USA zu bestellen.

Die durch umfangreiche Forschungen gestützte Feststellung, dass Pornografie ein kulturelles Phänomen ist, das sowohl die männlichen als auch die weiblichen Fantasien beinhaltet, sollte also nicht allein Anlass zu einer Neubewertung der Pornodebatte sein. Sie muss vielmehr zur Forderung nach einer weiteren Liberalisierung des Umgangs mit Pornografie führen.

Erst wenn sich neben den herkömmlichen Vertriebsstrukturen durch die Freigabe des Versandhandels auch die Interessen der Konsumentinnen durchsetzen können, wird es in Deutschland die Möglichkeit geben, die pornografische Produktpalette um vielfältige Angebote für einen differenzierten Geschmack sowohl von Frauen als auch von Männern zu erweitern. Die Folge könnte eine Qualitätssteigerung sein, die nicht nur den Konsumentinnen und Konsumenten zugute käme, sondern die auch die Produktions- und Arbeitsbedingungen der Branche verbessern würde.

Immerhin: Ein Beispiel für eine positive Tendenz im Bereich deutscher Pornoproduktionen kann mittlerweile genannt werden – Melanie Crupas Firma „Femme fatale“, die sich auf Videos für heterosexuelle Paare spezialisiert hat. Obwohl die Filme weder inhaltlich noch ästhetisch von besonderer Überzeugungskraft sind, wurde die Produzentin, die in einigen Werken auch selbst auftritt, von ihren Darstellerinnen und Darstellern hoch gelobt. Die Atmosphäre am Set sei entspannt, es werde kein Leistungsdruck ausgeübt, und überhaupt mache die Arbeit in Melanie Crupas Team wirklich Spaß, meint zum Beispiel die pornoerfahrene Sylvie Rauch. Auch die meisten anderen Mitwirkenden teilen Frau Rauchs Meinung, gern auch laut und öffentlich. Zwei Jahre lang war die Femme-fatale-Mannschaft häufig zu Gast in TV-Magazinen, Talkshows und Journalen.

Doch trotz des großen Presserummels um die „neue Frauenpornografie“ blieb der wirtschaftliche Erfolg aus. Von den Kämpfen an der Pornofront zermürbt, konnten auch die guten Absichten von Femme fatale keine durchgreifenden Veränderungen des deutschen Markts bewirken.

Inwieweit die Qualität der Produkte mit den Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten übereinstimmt, sei dem persönlichen Urteil überlassen. Tatsache ist aber, dass die herkömmlichen Vertriebswege wenig Raum für die Präsentation des neuen Nischenprodukts „Frauenpornografie“ bieten. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem Videofilme bei kleinen Auflagen von bis zu tausend Stück mit einem Verkaufspreis von fünfzig bis achtzig Euro weit über dem Massenangebot der Billigwaren liegen. Eine Senkung der Preise ist aber nur dann möglich, wenn sich die Absatzzahlen steigern lassen.

Die wenigen Frauen-Erotik-Shops in Deutschland bieten hier bislang keine überzeugende Alternative. Zwar hat ihr Konzept, eine wohl dosierte Mischung aus Dessous, Literatur, Pornografie, Sex-Toys und erotisierenden Ölen und Düften in stilvoll-gemütlichem Ambiente anzubieten, eine feste Klientel gefunden. Aber das Konsumverhalten der potenziellen Kundinnen und der ungeübte öffentliche Umgang mit der eigenen Sexualität erschweren eine flächendeckende Verbreitung solcher erotischen Einkaufsmöglichkeiten speziell für Frauen.

Eine andere Geschäftsidee gerät dagegen häufig in juristischen Konflikt mit der Staatsanwaltschaft. Die beiden Verlegerinnen Claudia Gehrke (Konkursbuch Verlag) und Bettina Tegtmeier (Seitenblick Verlag) stehen mit ihrem Literaturversandhandel ständig mit einem Bein im Gefängnis und vor dem finanziellen Ruin. Denn wenn eine produzierte Auflage als Pornografie eingestuft, angezeigt und schließlich indiziert (also als Pornografie gekennzeichnet und somit den Regelungen zum Schutz der Jugend vor Pornografie unterworfen) wird, darf die gesamte Auflage nur noch in geschützten Räumen angeboten werden; der Versand dieser Bücher ist dann strafbar.

Wie verhängnisvoll die juristische Praxis sein kann, hat die Shopbetreiberin Laura Méritt mit ihrem Vertrieb „Sexclusivitäten“ gerade erfahren. Die engagierte Hurenaktivistin und angehende Doktorin der Kommunikationswissenschaften wurde wegen ihres Internetangebots von pornografischen Videos und des Versands dieser Produkte angezeigt. Daraufhin wurde im November das gesamte Angebot ihres Shops, den sie als „Bauchladen“ in ihrer Berliner Wohnung betreibt, zur Überprüfung beschlagnahmt. Es soll geklärt werden, ob die von ihr geübte Praxis, die Waren ausschließlich an bekannte Kundinnen und Kunden zu verschicken, deren Ausweiskopie sie in ihrer Kundenkartei aufbewahrt, rechtens ist.

Nach der bisherigen Gesetzgebung scheint sie aber kaum haltbar zu sein, denn das Versandhandelsverbot ist in einer gesonderten Postbestimmung geregelt und erlaubt als einzige Ausnahme den Versand zwischen Gewerbetreibenden. Ein Großhandel kann also den Einzelhandel beliefern, der Einzelhandel den Kunden jedoch nicht.

Wahrscheinlich wird es dabei bleiben: Der herkömmliche Pornografiemarkt wird sich weiter auf das Angebot kostengünstiger Massenproduktionen, einiger weniger qualitativ hochwertiger Produkte (wie der Werke der Regisseure Andrew Blake und Paul Thomas) und einer Vielzahl von Pornoheftchen und -magazinen für ein überwiegend männliches Publikum beschränken.

So spannende Filme wie die der amerikanischen Regisseurinnen Candida Royalle und Ona Zee, die sich an die weibliche Lust richten, werden den Frauen in Deutschland wohl weiterhin vorenthalten bleiben. Ist die explizite Lust der Frauen in diesem Land vielleicht gar nicht erwünscht?

CORINNA RÜCKERT, 37, ist Kulturwissenschaftlerin. Sie promovierte über Frauenpornografie und war neun Monate Leiterin des Bereichs Eigenproduktion bei Beate Uhse TV