Warnung vor Zweidrittel-Akademikern

Universitäts-Präsident Jürgen Lüthje ist skeptisch gegenüber Bachelor-Abschlüssen. Sie könnten missbraucht werden, um die Mehrzahl der Studierenden nach drei Jahren auszugrenzen. An der Legitimation des Präsidenten durch die Uni-Selbstverwaltung will er trotz Dissenz mit dem Senat festhalten

Eine Verringerung der Fächervielfalt würde die Chancen des Standorts mindern

Interview: KAIJA KUTTER

taz: In diesen Tagen beendet die Strukturkommission für Hamburgs Hochschulen ihre Arbeit. Andere Präsidenten sind deshalb nervös. Sie auch?

Jürgen Lüthje: Nein, ich bin gespannt auf die Empfehlungen. Die Kommission wahrt offenbar sehr konsequent die Vertraulichkeit. Das finde ich richtig.

Die Kommission soll Ressourcen ausfindig machen, die helfen, die Unterausstattung der Uni zu beseitigen. Ist das realistisch?

Es ist ausgesprochen richtig und wichtig, dass dies geschieht. Ich erwarte, dass die Kommission diese Überlegungen sogar in das Zentrum ihrer Empfehlungen stellen wird.

Aber die Kommission soll auch Geld für neue Projekte loseisen. Das steht in Konkurrenz dazu.

Die Kommission wird beide Probleme lösen müssen. Wir brauchen sicher Spielraum für künftige Innovationen. Aber wir können Innovation nur erfolgreich betreiben, wenn die Universität konsolidiert ist.

Wissenschaftssenator Jörg Dräger spricht von einem Überangebot von Studienplätzen. Sehen Sie das auch?

Nach den mir bekannten Zahlen bietet Hamburg nicht sehr viel mehr Studienplätze an, als die Stadt Studienberechtigte ausbildet. Diese generelle Aussage ist unter Umständen zu modifizieren, wenn man sich die Qualifikationsbedarfe der Stadt nach Fächergruppen detailliert ansieht. Darüber gibt es bisher keine Zahlen. Wenn es der Kommission gelingt, solche Zahlen zu erheben, ist das für die Hochschulentwicklung durchaus interessant.

Haben Sie eine Idee, welche Studienplätze verzichtbar sind?

Nein. Wir kennen nur die Nachfrage. Und die liegt für Studienplätze an der Universität Hamburg in fast allen Fächern weit über der Kapazität.

Sie selbst haben ein Papier für die Kommission verfasst. Da nennen Sie zehn Schwerpunkte, die die Uni künftig besetzen sollte. Es gibt aber 18 Fachbereiche.

Ich könnte mir bis zu zehn größere Einheiten vorstellen, in denen jeweils mehrere Fachbereiche zusammengefasst sind. Wie die intern organisiert sind, so dass die einzelnen Fächer ihre Identität behalten, ist eine der dabei zu lösenden Fragen. Die großen Fächergruppen, die sich nach meiner Einschätzung anbieten, sind die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die Bildungswissenschaften, die Geistes- und Kulturwissenschaften, die Rechtswissenschaften, die Naturwissenschaften einschließlich Mathematik und Informatik und die Medizin.

Sie haben oft betont, die Stärke der Universität liege in der Breite des Fächerangebots. Ist das noch Ihr Credo?

Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Universität Hamburg mit der Vielfalt ihrer Fächer ein Qualifikationsspektrum bietet, das für den Standort Hamburg optimal ist. Eine Verringerung der Fächervielfalt würde die Chancen des Standorts ebenfalls mindern.

Auf dem Campus drücken Transparente wie ‚keine Schmalspur-Uni‘ die Befürchtung aus, dass diese Vielfalt bedroht ist.

Ich kann die Befürchtungen verstehen. Aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass sich die Reduktion des Fächerspektrums als politisch vertretbarer Weg herausstellt. Mit ‚Schmalspur-Uni‘ könnte übrigens auch die Studienstruktur gemeint sein.

Ein Thema, das brennt. Es soll ja das Bachelor-Master-Modell an allen Hochschulen geben. Ihr Modell des integrierten Abschlusses steht bundesweit in der Kritik.

Fest steht: Wir müssen in Deutschland eine dreistufige Abschlussstruktur einführen, wenn wir in Europa kompatibel bleiben wollen. Denn die europäischen Bildungsminister haben sich in Bologna auf ein Modell verständigt, das drei Abschlussebenen vorsieht: eine nach drei Jahren, eine nach vier bis fünf Jahren und eine postgraduale Qualifikation. Eine völlig andere Frage ist, wie diese Studiengänge strukturiert werden. Ob sie zwingend ‚konsekutiv‘ angelegt oder ‚integriert‘ werden wie an der Universität Hamburg. Unter Qualitätsgesichtspunkten gibt es keine Gründe, die gegen das integrierte Modell sprechen. Es gibt aber Hochschulpolitiker, die die Dreistufigkeit der Studienabschlüsse nutzen wollen, um die Zahl der Studierenden, die den jeweils höheren Abschluss erreichen, deutlich zu reduzieren. Mit einer solchen Zielsetzung bin ich nicht einverstanden.

Der Knackpunkt ist doch, ob man sich für die nächste Stufe neu bewerben muss.

Richtig. Und man hätte, auch wenn man den ersten Abschluss erworben hat, keinen Anspruch auf Zulassung zum Studiengang für den zweiten Abschluss. An dieser Stelle würde eine qualitative Steuerungsmöglichkeit eingebaut, die ich nicht für verfassungskonform halte. Über die Zulassung zu Studiengängen darf nur individuelle Eignung und Qualität entscheiden.

Wie würde gesteuert?

Es gibt Positionen, die nur noch ein Drittel der Studierenden, die einen Bachelor oder ein Baccalaureat erworben haben, zum Masterstudium zulassen wollen. Ich halte dies auch für hochschulpolitisch falsch. Wir wissen gar nicht, wie der Arbeitsmarkt Bachelor-Absolventen aufnimmt. Auch müssen wir berücksichtigen, dass in Deutschland nur etwa 30 Prozent eines Jahrgangs studieren. In den USA , wo dieses Modell existiert, sind es 70 Prozent. Wenn davon nur ein Drittel den Master erreicht, sind das mehr als 20 Prozent eines Altersjahrgangs, in unserer Situation wären es 10 Prozent, ein viel zu geringer Anteil.

Haben Sie dies mit dem Wissenschaftssenator besprochen?

Ich will nicht verhehlen, dass es an dieser Stelle einen Dissenz gibt. Dies ist einer der wichtigsten Diskussionspunkte zwischen dem Senator und mir.

Nun muss laut Dräger auch die Uni ihre Abschlüsse vom bundesweiten Akkreditierungsrat begutachten lassen. Haben Sie dort schon vorgesprochen?

Die Universität hat die Akkreditierung ihrer Baccalaureate beantragt. Darüber werden weitere Gespräche geführt.

Wieso betrifft dieses Thema nur die Hamburger Uni?

Das ist nicht richtig. Auch andere Universitäten, etwa Münster, Regensburg und Kassel, bieten integrierte Studiengänge an. Die meisten großen Universitäten haben noch gar keine gestuften Abschlüsse eingeführt. Dort, wo es schon akkreditierte Bachelor-Master-Studiengänge gibt, handelt es sich durchweg nicht um große Fächer, sondern um sehr kleine, spezialisierte Studiengänge. In diesen Studiengängen wurde übrigens ein sehr hoher Personalschlüssel festgelegt. Wenn man diesen auf alle Studienfächer übertrüge, würde sich die Zahl der Studienplätze drastisch verringern.

Stichwort Hochschulgesetz: Sie haben im April kritisiert, eine Hochschulleitung könne man nicht mit einer Kommandobrücke verwechseln. Inzwischen machte Herr Dräger Zugeständnisse. Gilt Ihre Kritik noch?

Ja. Ich bin fest davon überzeugt, dass sowohl die Leitung der Hochschule als auch die Leitung der zweiten Selbstverwaltungsebene einer klaren Legitimation aus der Hochschulselbstverwaltung heraus bedürfen. Hochschulen sind so komplexe Systeme, dass man sie nur erfolgreich leiten und steuern kann, wenn man vom Vertrauen ihrer Mitglieder getragen ist. Deswegen ist für mich die Wahl durch Selbstverwaltungsgremien unverzichtbar.

Im Ausnahmefall dürfen nun aber Dekane vom Fachbereichsrat gewählt werden.

Das geht mir nicht weit genug. Dies muss der Regelfall sein.

Sie wollten in dieser Frage einen bürgerschaftlichen Konsens herbeiführen. Ist das geglückt?

Ich führe zahlreiche Gespräche und habe den Eindruck, dass sich die parlamentarische Diskussion in die Richtung bewegt, die ich vertrete.

Nächsten Herbst steht Ihr Amt zur Neuwahl an. Werden Sie kandidieren?

Das überlege und entscheide ich in den nächsten Monaten.