Wärmen im Winter

Selbst wer im Sommer immer draußen schläft, sucht sich jetzt ein warmes Plätzchen. Und kommt tagsüber an den Hauptbahnhof. Zum Aufwärmen und Reden

Draußen ist es eiskalt. In dem kleinen Raum der Bahnhofsmission ist fast jeder Stuhl belegt. Viele Obdachlose machen hier Station, wärmen sich auf, fragen nach heißen Getränken, Schlafunterkünften und Essensstellen oder ruhen sich einfach nur kurz aus. So wie Karsten Jonny: Wie lange er schon obdachlos ist? Er weiß es gar nicht mehr so genau. „Drei bis vier Jahre müssen es jetzt wohl schon sein“, überlegt er. Im Sommer schläft er grundsätzlich draußen, aber jetzt hat er über das Winternotprogramm ein Bett gefunden. Dort kann er bis zum April bleiben – aber immer nur nachts. Tagsüber geht der 59-Jährige am liebsten spazieren. Bei der Kälte aber wärmt er sich in Kaufhäusern, in der Bahn oder beim Kaffee in den Tagesaufenthaltsstätten auf.

Der 45-jährige Günter Zillmer darf in der Bahnhofsmission nicht bleiben. Alkohol ist hier nicht erlaubt, deshalb steht er draußen mit seinem Bier und erzählt, dass er gerade erst seinen Platz auf dem Wohnschiff verloren hat. „Wenn einer da im Zimmer Scheiß macht, fliegen gleich alle raus“, sagt er verärgert und fügt hinzu, dass dieser Satz ganz und gar wörtlich zu nehmen ist. „Meine zwei drogensüchtigen Zimmergenossen haben da nachts auf den Teppich geschissen.“

Auch Alexander Niesel trinkt sein Bier im kalten Wind auf dem Bahnhofsvorplatz. Der 32-Jährige ist erst seit dem 2. November wieder aus dem warmen Spanien zurück. „Schön blöd, so hab ich genau um einen Tag die Bewerbungsfristen für einen Platz im Winternotprogramm verpasst. Jetzt ist da alles voll.“ Eine Notunterkunft wie das Wohnschiff kommt für ihn allerdings gar nicht mehr in Frage. „Der Großteil da hat Kleiderläuse und tut nichts dagegen.“ Auch die Unterbringung in Vierbettzimmern ist nach 14 Jahren auf der Straße nichts mehr für ihn. „Da hat man immer drei andere, die schnarchen.“ Solange er keinen Platz in einer Unterkunft mit Einzel- oder Zweibettzimmern hat, schläft er lieber in seinem „kleinen Versteck neben einer Kneipe auf dem Kiez, wo es windgeschützt und warm ist“.

Mit Schlafsack und Decke packt sich sein Kumpel Günter nachts schon mal in den Vorraum einer Bank. Dass immer wieder Leute zum Geldabheben reinkommen, stört ihn nicht. „Man wird eben erfinderisch bei der Kälte.“ JULIA HEYDORN