moderne sklaven
: Frisches Blut

Die taz-Praktikantin

Stefanie Johnens Foto hängt noch nicht an der „Neu-bei-der-taz“-Pinnwand im Konferenzsaal, dort, wo sich alle Neuen der Belegschaft vorstellen. Für ein fünfmonatiges Praktikum hat sie sich bei der taz beworben. Wohl wissend, dass sie für diese Zeit kein Geld bekommen wird. Aber: „An der Uni ging grad echt nichts mehr“, meint die angehende Medienwissenschaftlerin.

Nach 14 losgeschickten Bewerbungen entschied sie sich am Ende gegen Viva und für die taz. Und sie zog kurzerhand von Göttingen nach Berlin. Im fünften Stock der Kochstraße 18 arbeitet sie jetzt bei der taz-Werbung.

„In Richtung PR“ gehe es bei ihr beruflich, sagt Johnen. Während eines Praktikums in einer kleinen Düsseldorfer Werbeagentur stellte sie jedoch fest: „Eigentlich belügst du die Leute ja nur. Ich will für etwas Werbung machen, wo ich auch hinterstehe.“ Für politische Parteien oder Umweltorganisationen.

Oder für die taz. Die Zeitung liest sie zwar eher selten, findet es aber „gut, dass es sie gibt, sonst wäre die deutsche Presselandschaft zu einseitig“.

„Ich bin lieber hier und kriege gar nix, als dass ich woanders Geld verdiene und es mir keinen Spaß macht.“ Die Atmosphäre sei zwar „professionell, aber doch sehr locker“. Ihre Aufgaben werden in der Organisation von Veranstaltungen, Gewinnspielen, Messeständen und im Anzeigengeschäft liegen.

Sie weiß jetzt zwar nicht, ob sie das sagen darf, aber neu waren ihr die Tauschgeschäfte, die die taz mit ihren Medienpartnern pflegt. Anzeige gegen Anzeige. Durch das langzeitige Praktikum hofft die 22-Jährige selbstständig Aufgaben übernehmen zu können. „Früher musste ich jedes Fax und jede E-Mail Korrektur lesen lassen, bevor sie rausgeschickt wurden.“ Dass es hier etwas anders laufe, zeichne sich jetzt schon ab.

Das einzige Problem bleibt das Geld. „Ich brauch einen Job“, sagt Johnen. Notfalls würde sie auch abends in der Kneipe arbeiten, um sich das Praktikum zu finanzieren. Noch vor kurzem gab es zumindest Essensmarken bei der taz, mit denen die Mitarbeiter Rabatt beim hauseigenen Italiener bekamen.

Doch trotz starker Protestmails wurden auch die wegrationalisiert. Noch nicht einmal rauchen dürfe man mehr, klagt eine Redaktionspraktikantin aus dem Berlin-Ressort, die nun einsam im Aufenthaltsraum der taz pafft.

„Wir würden den Praktikanten gerne etwas geben, aber daran würde die taz zugrunde gehen“, meint taz-Controller Thomas Purps. „Frisches Blut“, so nennt er die jungen Freiwilligen, die seiner Meinung nach den Arbeitsalltag mit anderen Lebensansichten und guten Ideen bereichern. „Wenn man dafür aufnahmefähig ist, kann man sehr viel gewinnen.“

Und auch wenn nicht jeder vom ersten Tag an an lange Reportagen schreiben könne, Kleinteiliges, wie die vielen Kurzmeldungen, sei oft wertvolle Praktikantenarbeit. „Ich weiß nicht, ob der Berlin-Teil ohne Praktikanten zurechtkäme“, zweifelt der Controller.

Durch die Mit- und Zuarbeit der fleißigen Helfer sei „insgesamt eine Qualität im Blatt, die sich sonst nicht herstellen lässt“, gesteht Adrienne Woltersdorf, Ressortleiterin des Berlin-Teils. Drei Praktikanten arbeiten ständig in ihrer Redaktion. Das Volumen ihrer geschriebenen Zeilen ersetze mindestens eine Stelle. Allerdings seien die Neulinge oftmals nicht mit den Themen vertraut und brauchten Unterstützung. Deshalb achtet Woltersdorf auf stilsichere Bewerber: „Ich wähle nur Leute aus, die schon journalistische Erfahrung haben.“

Nach geleisteter Selbstausbeutung können die taz-Praktikanten zumindest aussagekräftige Arbeitsproben in ihre Bewerbungsmappen heften. Die flachen Hierarchien im Haus ermöglichen Schreibexperimente in allen Bereichen, sorgen für eine entspannte Atmosphäre, und nach dem Praktikum kann man – dann als unterbezahlter Freier – immerhin für eine unabhängige Zeitung schreiben. Wie ich.

SEBASTIAN HEINZEL

Ob in der taz, bei der Latexschneiderei oder im Bundestag, Praktika gibt’s überall, Geld fast nie. Doch ohne die Schnupperkurse ist eine Bewerbung chancenlos. Das bedeutet oftmals eine 40-Stunden-Woche, einziger Lohn ist die Hoffnung auf die Zukunft. Die taz stellt in dieser Woche einige der neuen Billigarbeiter vor.