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Nachhaltigkeit bringt Wohlstand

Regionaler Wohlstand wird an der TU Berlin neu betrachtet: Soziale Strukturen und Umweltqualität sind für unser Wohlbefinden wichtiger als das überholte Modell Dallas. Nachhaltig Geld verdienen funktioniert zudem besser

von TILMAN VON ROHDEN

Wohlstand – das klingt nach Sahnetorte und Eigenheim, nach Tauchurlaub und Après-Ski, nach zwei Autos in der Garage und gepflegten Kammerkonzerten. Wohlstand à la Buddenbrooks und Dallas – das ist das Modell, das die industrialisierten Länder jahrzehntelang in die Welt hinausgetragen haben. Dieses Modell steht spätestens seit der Weltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992 gründlich in Frage, denn es taugt nicht, um diese eine Welt in gerechter Form zu entwickeln: Heute verbrauchen 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen und sind für einen ebenso hohen Anteil an Abfall- und Abgasproduktion verantwortlich.

Nachhaltige Entwicklung als Leitbild

Doch was an die Stelle des überlebten Wohlstandsbegriffs treten könnte, ist auch heute nicht ganz klar. Denn es ist allzu billig, sich von bekannten Wohlstandsindikatoren wie Bruttosozialprodukt oder anderen ökonomischen Kennziffern zu verabschieden, ohne dass andere praktikable Bewertungsmodelle existieren. Eine handlungsleitende Messung von Wohlstand dürfte sich so erheblich verkomplizieren, denn neue Methoden müssten verstärkt „weiche Faktoren“ wie Sozialstruktur und Umweltqualität, die mehr bedeutet als Schadstoffanteile in Luft, Wasser und Boden, oder auch funktionierende Institutionen und Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger berücksichtigen.

Wie neue Wohlstandsmodelle, die sich an dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung orientieren, aussehen könnten, untersucht das Forschungsprojekt „Regionaler Wohlstand – neu betrachtet. Der Beitrag der ökologischen Ernährungswirtschaft zur Lebensqualität“. Das auf fünf Jahre angelegte interdisziplinäre Projekt, das in Kooperation zwischen dem Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) bearbeitet wird, möchte regionale Lebensqualität in seiner ganzen Breite sichtbar machen. Exemplarisch soll im Rahmen der Untersuchung, in der eng mit regionalen Praxispartnern kooperiert wird, der gesellschaftliche Nutzen betrachtet werden, der von der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft ausgeht. Das Projekt läuft von 2002 bis 2007 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Sozialökologische Forschung“ gefördert.

Dass der ökologische Landbau konventionellen Anbaumethoden im Umwelt-, Natur- und Tierschutz überlegen ist, ist hinreichend belegt. „Wir vermuten, dass viele Betriebe der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung von Bioprodukten auch Vorreiter dabei sind, soziale und kulturelle Ziele zu verfolgen“, sagt Projektleiterin Martina Schäfer, die am ZTG beschäftigt ist. Das Ziel sei es, den „verborgenen Wohlstand“ sichtbar zu machen, der beispielsweise in der Verknüpfung der Landwirtschaft mit sanftem Tourismus, Handwerk und regenerativer Energiegewinnung, im Aufbau von Land-Stadt-Brücken, der Integration von Behinderten oder psychisch Kranken in die landwirtschaftliche Arbeit oder der Zusammenarbeit mit Initiativen der Lokalen Agenda 21 stecke, so Schäfer.

Ökologische Produkte bringen höhere Gewinne

Obwohl das Projekt regional arbeite, seien die Fragen von internationaler Bedeutung. So würden immer mehr Landwirte in den Ländern des Südens erkennen, dass der Ökolandbau Unabhängigkeit von teuren Importen von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln biete und dauerhaft die Bodenqualität und gute Erträge sichere. Da die Preise für ökologisch erzeugte Lebensmittel den Landwirten höhere Gewinne ermöglichen, bleibt außerdem mehr Spielraum für soziales Handeln. Ökologisch wirtschaftende Betriebsgemeinschaften gehen in den Ländern des Südens daher sehr häufig einher mit der Schaffung von Infrastruktur wie dem Bau von Schulen oder Gesundheitsversorgung.

Das Projekt hat fünf Arbeitsschwerpunkte. Im Zentrum des Teilprojektes 1 stehen die „verborgenen Auswirkungen“ wirtschaftlicher Aktivitäten im ökologischen und ökonomischen Bereich. Das Ziel ist es, Wege zu finden, wie diese positiven Folgen stärker in regionale Entscheidungs- und Planungsprozesse einfließen können. Teilprojekt 2 überträgt diese Fragestellung auf den kulturellen und sozialen Bereich und widmet sich besonders dem gesellschaftlichen Nutzen von ehrenamtlicher und Gemeinwesenarbeit. Die Projektteile drei bis fünf sind stärker auf einen Nutzwert für die in der Region ansässigen Betriebe ausgerichtet. So soll der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf Unternehmen, die Nutzen in mehreren gesellschaftlichen Bereichen schaffen und damit zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung beitragen, untersucht werden. Die Frage heißt, wie Institutionen gestaltet sein müssen, damit sie neben ökonomischer auch soziale und ökologische Wohlstandsschöpfung befördern. Ein weiteres Teilprojekt analysiert, welche Bedürfnisse und Ansprüche Konsumenten, Händler und Dienstleister sowie die Landwirtschaftsbetriebe an Erzeugnisse und Dienstleistungen der ökologischen Ernährungswirtschaft stellen. Das Ziel ist es, ein Kommunikations- und Marketingmodell zu entwickeln, das insbesondere die Bedürfnisse der Konsumenten bei der Entwicklung ökologischer Waren und Dienstleistungen berücksichtigt.

Mehr Informationen zum Projekt: www.sozial-oekologische-forschung.org; schaefer@ztg.tu-berlin.de, Tel. (0 30) 3 14-2 68 54

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