Duschen mit dem Arsch zur Wand

Fußball-Zweitligist St. Pauli hat seit einer Woche mit Corny Littmann den ersten schwulen Präsidenten, doch das Klima in der Hetero-Bastion Profifußball ist unverändert homophob. Die Expertenrunden der Stammtische warten derweil seit 29 Jahren Bundesliga unverdrossen auf das erste Spieler-Outing

Sogar Pelé hat seine erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann gemacht

von MARKUS VÖLKER

Frank Rost, Torwart von Schalke 04, beantwortet die Frage, ob Bundesligaprofis der gleichgeschlechtlichen Liebe anhängen, mit: „Nein – außerdem dusche ich immer mit dem Arsch zur Wand.“ An Stammtischen kursiert der Witz, woraus eine ideale Abwehr bestünde: „Aus Schwulen, denn die können von hinten richtig Druck machen.“ Die Suche nach dem etwas anderen Profi wird bisweilen mit detektivischem Eifer betrieben. Keine Fußballrunde, die das Thema noch nicht aufgegriffen hätte. Bestimmt ist es der Wörns, spricht der nicht so tuckig? Oder Ricken, bei dem hat man doch nie etwas von einer Freundin gehört? In 29 Jahren Bundesliga hat sich noch kein Spieler öffentlich geoutet. Wohin der Ball auch rollt, alles Heteros. Tatsächlich?

Es ist viel geschrieben worden über den Fußball als Sex-Surrogat. Etwa dergestalt: Beim Torschuss kommt es nach langem Vorspiel zum Orgasmus, die andere Mannschaft wird – der Ball dringt ins Tor – vergewaltigt. Diese Szene begleiten die Fans der Vergewaltiger mit heftigen Umarmungen, die Vergewaltigten mit vor Hilflosigkeit überkochender Frustration.

Solch ein Entwurf ist eindeutig nicht heterosexuell. Gerade deshalb scheint es den Fans so wichtig, für klare Verhältnisse zu sorgen. „Ich bin es nicht, der sich ficken lässt“, könnte das Leitmotiv der Verdrängungsarbeit lauten, „schon gar nicht von euch schwulen Säcken.“ Spielt das gegnerische Team wie Tennis Borussia Berlin oder Austria Wien in lilafarbenen Trikots, fallen die Zuschreibung „schwul“ und die Entlastung des eigenen Gewissens einigermaßen leicht. Fehlt solch ein Farbreiz, darf der Schiedsrichter, Trainer oder ein beliebiger Verdächtiger herhalten. Erst kürzlich griff der Trainer des 1. FC Magdeburg, Achim Steffens, mit den Worten ins Spiel ein: „Ihr schwulen Säcke, euch bring ich alle um!“

Duldete der Fußball vornehmlich einen Homo, wenn danach ein ludens oder sapiens folgte, darf’s jetzt auch schon mal ein sexueller sein – wie die Wahl von Corny Littmann zum Präsidenten des FC St. Pauli unterstreicht. Littmann wusste schon in den 90ern das homophobe Gehabe der männerbündischen Szene zu konterkarieren. Gefragt, ob er einen schwulen Kicker kenne, meinte er, er habe gerade mit einem geschlafen. 1991 veranstaltete der Fernsehsender „Premiere“ eine Diskussion über Homosexualität im Sport. FC-Profi Paul Steiner, der mit Sätzen wie „Schwule sind für Fußball viel zu weich“ aufgefallen ist, bestritt in der Runde, dass unter Bundesligaspielern – und erst recht unter denen des 1. FC Köln – Männerliebe verbreitet sei. Theatermacher Littmann verstörte Steiner daraufhin aufs Heftigste. Er sei schon mit einem Spieler der damaligen FC-Mannschaft im Bett gewesen, behauptete Littmann. Steiner soll danach nur noch im Stile Rosts geduscht haben.

Der englische Profi Justin Fashanu taxierte das Schwulenaufkommen in der Premier League auf ein Viertel der ballschiebenden Belegschaft und sorgte damit für mächtigen Wirbel. Noch heute gilt Fashanu, der sich, mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit buhlend, 1990 in der Sun outete, fälschlicherweise als Opfer des bigotten Fußballmilieus. Am 2. Mai 1998 fand man den 37-Jährigen erhängt in einer Garage in East London, doch an seinem Abstieg vom viel versprechenden Jungstar zum abgehalfterten Legionär war wohl doch mehr er selbst schuld als eine scheinheilige Öffentlichkeit.

Yves Eigenrauch, Exprofi bei Schalke 04, ahnt, „dass es homosexuelle Spieler im Profifußball geben muss“. Allein aufgrund der Statistik. Aber „konservativ, wie sich der Sport nach wie vor darstellt, erführe die betreffende Person sicherlich eine recht große Ablehnung. Oder es würde ihr zumindest recht distanziert begegnet“, vermutet Eigenrauch. Anderswo mag es ja todschick anmuten, ein bisschen wärmer als der große Rest zu sein. Nicht so im Fußball, der sich hermetisch wie eine Tauchglocke abschottet. Und sitzt wirklich ein Artfremder mit im Boot, ist er zu kunstvoller Mimikry genötigt, um der Norm zu entsprechen. Der Spielergewerkschaft VdV ist jedenfalls bis dato noch kein Fall bekannt, in dem sich ein von den Kollegen ob seiner sexuellen Orientierung gemobbter Kicker um Beistand bemüht hätte. Alles, was auf Verzärtelung, Tuckigkeit und Weicheiertum hindeutet, hat im Fußball wenig Platz. Wie verhärtet die Fronten sind, zeigt der Fall des türkischen Profis Erhan Albayrak, der, seit er einen Bielefelder Mitspieler auf einer Feier küsste, in seiner Heimat angefeindet und beschimpft wird. An der homophoben Stimmung dürfte auch der Katalog der Faninitiative Baff nicht viel ändern, worin empfohlen wird, der aufgeklärte Fan, so er im Stadion schwulenfeindliches Tun orte, solle den Delinquenten augenblicklich zur Rede stellen.

Geschickter stellen es die Hertha-„Junxx“ an, eine schwule Jubeltruppe, die von Hertha BSC in den Kanon der Fanklubs aufgenommen wurde, weil der Bundesligist das „Triebschicksal“ Homosexualität offiziell anerkannte. „Die ganze Atmosphäre in den Stadien ist so schwulenfeindlich, dass wir allein schon durch unsere Anwesenheit wie ein Stachel wirken“, sagt ein Sprecher der Junxx. Neben dem Moment der „prickelnden Provokation“ genössen sie den Anblick von Thorben Marx und Roque Santa Cruz. Bayern-Profi Mehmet Scholl sagte zum Thema optische Zumutungen einmal, er kenne den Arsch von Thomas Helmer besser als den seiner Frau. Ein Scherz, natürlich. Ernst gemeint war indessen Pelés Offenbarung, er habe seine erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann gemacht.

Gäbe es mehr Schwule in den Stadien, „wird es auch möglich sein, dass mal ein Spieler sein Coming-out wagt“, glauben die etwas anderen Hertha-Fans. Dieser Kicker wäre indessen ein arger Spielverderber: Denn Fakten sind Antibiotika gegen das Jagdfieber der Fußballrunden und ihrer ins Kraut schießenden Mutmaßungen.