Lehrer denken um

Oft gilt die GEW als strukturkonservativ. Jetzt hat die Gewerkschaft wegen Pisa ihre Programmatik geändert – unter dem Beifall von Johannes Rau

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Und sie bewegt sich doch: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist die erste wichtige Bildungsorganisation, die nach der Pisa-Studie ihre Programmatik grundlegend verändert hat. Die GEW hat gestern bei ihrem großen Ein-Jahr-nach-Pisa-Kongress den guten Unterricht ins Zentrum aller Bemühungen um Schule gestellt. Vor etwas über einem Jahr arbeitete sich die Gewerkschaft für LehrerInnen und ErzieherInnen noch an einem veralteten Gesamtschulbegriff ab. Jetzt heißt das große Stichwort „Qualität im Bildungswesen.“ Darunter versteht die GEW eine hohe Bildungsbeteiligung genau wie anspruchsvolle Unterrichtsmethoden und hohe Ziele für Schüler.

Als zentrale Lehre aus der Schulstudie, bei der die deutschen 15-jährigen Schüler in einem Vergleich von 32 Nationen weit abgeschlagen im unteren Drittel gelandet waren, sieht die Vorsitzende der GEW, Eva-Maria Stange, „dass Qualität und Chancengleichheit in der Schule keine Gegensätze sind“. Stange ist sich freilich im Klaren, dass es schwierig sein dürfte, diese Erkenntnis durchzusetzen – in der Gesellschaft genau wie in ihrer eigenen Gewerkschaft.

Ein Jahr nach Pisa nämlich lautet etwa die Devise der Konservativen und der CDU-Kultusminister: Zurück zu den Sekundärtugenden wie Disziplin und Leistungsbereitschaft! Die OECD, die die Studie entwarf und durchführte, betrachtet diese Interpretation mit Argwohn. Immer deutlicher stellen die Pisa-Interpreten aus Paris klar, dass Bildungssysteme beides schaffen könnten: eine gute Leistungsspitze von SchülerInnen und das Aufrechterhalten von Chancen für alle SchülerInnen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Pisa hatte als Hauptmanko der deutschen Schulen ergeben, dass es ihnen nicht gelingt, die sozialen Unterschiede zwischen den SchülerInnen abzumildern – sondern sie verstärken sie sogar.

Der Pate des Paradigmenwechsels der GEW war der Bundespräsident. Allein durch seine Anwesenheit machte Johannes Rau deutlich, dass er den Ansatz der Erziehungsgewerkschafter für den richtigen hält – nämlich die „ideologischen Grabenkriege der vergangenen 30 Jahre zu überwinden“. Rau beschwor zudem, was die GEW in ihrer Gesamtheit von hunderttausenden Mitgliedern erst noch finden muss: ein neues Bild von einer Schule für alle – ein Ende der Dreigliedrigkeit des Schulwesens im Konsens statt auf einen Schlag.

Raus Zugang zu diesem Thema war listig. Er zitierte erst ausführlich das Aufsehen erregende Gutachten des baden-württembergischen Handwerkstags, der die Einteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium nach der vierten Klasse grundsätzlich in Frage stellt. Der Bundespräsident sagte dazu, er sei über das Bildungspapier aus dem Südwesten „erstaunt gewesen – und erfreut zugleich“. Wenn es Allgemeingut würde, so Rau, dann sei der Ballast abgeworfen, den sich alle Seiten im Kampf um die beste Schule gegenseitig aufgebürdet hätten.