Koch bestreitet klaren Gedanken

Handelte Hessens Ministerpräsident bei seinem NS-Vergleich aus Kalkül oder ging dem sonst so kühlen Kopf das Temperament durch? Einerlei, sagt die Opposition, beides gleich schlimm. Kochs Getreue bei CDU und FDP trotzen: Schwamm drüber!

aus Wiesbaden HEIDE PLATEN

Entschuldigung im Landtag, Brief an den Ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske, all das nützte dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gestern wenig. Seine Behauptung, die Reichen würden in Deutschland „mit so einer neuen Form von Stern auf der Brust“ so stigmatisiert wie die Juden im Dritten Reich, sorgte auch gestern für Spekulationen. Versehen, Absicht, politisches Kalkül gar, um sich während der letzten Plenardebatte vor der Landtagswahl am 2. Februar 2003 durch reaktionäre Sprüche zu profilieren?

Regierungssprecher Dirk Metz nannte Vermutungen, sein Chef habe mit „seinem Ausrutscher“ am politisch rechten Rand der Gesellschaft Punkte machen wollen, „ziemlich abenteuerlich“. Koch habe sich eben sehr darüber echauffiert, dass Bsirske vermögende Familien mit Namen und Adressen genannt habe. Seinen Herausforderer Gerhard Bökel (SPD), der für Hessen gegen die eigene Parteispitze stur an der Wiedereinführung der Vermögensteuer festhalte, habe der Ministerpräsident zuvor in seiner Rede deshalb „regelrecht zusammengefaltet“. Koch habe sich für seinen Angriff schriftlich bei Frank Bsirke entschuldigt. Damit, so Metz, halte er die Affäre für abgeschlossen und sehe es so philosophisch wie der ehemalige Fußballtrainer der Frankfurter Eintracht, Stepanovic: „Des Lebbe geht weiter!“

Auch CDU-Generalsekretäör Laurenz Meyer sagte gestern, Koch habe sich am Donnerstagvormittag während seiner Rede zur Wiedereinführung der Vermögensteuer gefallenen Äußerung zwar „in der Wortwahl vergriffen“, aber sofort entschuldigt, und deshalb sei „die Sache erledigt“. Sein Parteikollege, der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel, mahnte zur Vorsicht bei „historischen Vergleichen“ und riet, solche besser gar nicht erst anzustellen.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hatte Koch schon am Donnerstagabend eine „unerträgliche Beleidigung“ der Opfer des Nationalsozialismus vorgeworfen. Die Landtagssprecherin der Grünen, Elke Cezanne, warnte gestern vor einer Verharmlosung des Vorfalls. Als Beobachterin der Szene gehe sie davon aus, dass da „für einen kurzen Augenblick das wahre Denken“ des sonst kühl kalkulierenden Ministerpräsidenten zutage gekommen sei. Auf Kochs Assoziationskette von Reichen und Juden müsse man schließlich „erst mal kommen“. Möglicherweise habe es Koch zuvor „wie im Rausch“ davongetragen, nachdem es ihm gelungen sei, seinen SPD-Herausforderer Gerhard Bökel mit einer „tatsächlich hervorragenden“ Rede geradezu „plattzumachen“: „Der hat sich in Stimmung geredet und gedacht, er ist klasse, er ist der Größte, ihm kann gar nichts mehr passieren!“

Die Vorsitzende des Koalitionspartners FDP, Ruth Wagner, kritisierte Kochs Äußerung zwar. Sie finde den Vergleich historisch falsch und bedauerlich: „Wir wollen diesen Wahlkampf so nicht führen.“ Die Koalitionsaussage für die CDU stelle sie aber auch weiterhin nicht infrage.

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