türkei und eu
: Unehrliche Entscheidung

Wann hat es das je gegeben: Sozialisten, Grüne und Konservative sind gleichermaßen begeistert darüber, wie sich die Annäherung der Türkei an die Europäische Union weiter gestalten soll. Doch schnell zeigt sich, dass sie die Entscheidung von Kopenhagen aus ganz unterschiedlichen Motiven begrüßen.

Kommentar von DANIELA WEINGÄRTNER

Der sozialdemokratische Abgeordnete im Europaparlament Ozan Ceyhun hofft, dass die Türkei in den kommenden zwei Jahren ihre Reformfähigkeit beweisen wird. Joost Lagendijk von den Grünen lobt, die EU signalisiere ihren guten Willen, ohne ihre Mindestforderungen von Menschenrechten und Marktwirtschaft aufzuweichen. Und der Konservative Hans-Gert Pöttering vertraut darauf, dass die Zeit bis Ende 2004 genutzt wird, um über andere Formen der Partnerschaft nachzudenken.

Für diese unterschiedlichen Standpunkte gibt es gute Gründe. Wenn sich aber alle auf denselben Kopenhagener Beschluss stützen, zeigt sich, dass der ein entscheidendes Kriterium nicht erfüllt: Eindeutigkeit. Befürworter und Gegner des Türkeibeitritts haben gefordert, dass die EU die Türkei nicht noch länger hinhalten darf. Das nun beschlossene Verfahren aber ist eine Einladung, damit fortzufahren. Ihr seid nicht willig in der Zypernfrage? Das könnte sich auf eure Benotung Ende 2004 negativ auswirken. Ihr verlangt mehr Hilfen vor dem Beitritt? Das könnte uns daran erinnern, dass euer Beitritt die Union zu teuer käme.

Zum 1. Mai 2004 wird die EU-Kommission auf 25 Kommissare erweitert. Fünf Monate später soll sie den Fortschrittsbericht veröffentlichen, der den 25 Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im Dezember 2004 als Grundlage für ihre Entscheidung dienen soll. Welche Eigendynamik diese vergrößerte Runde entfalten wird, ist nicht vorherzusagen. Außerdem weiß niemand, ob es Gipfel wie den von Kopenhagen dann überhaupt noch geben wird. Derzeit wird an einer Reform der EU gearbeitet, weil alle einsehen, dass sich das Gipfelritual, wo übermüdet und unter Zeitdruck entschieden wird, überlebt hat. Die Staatschefs hätten also in Kopenhagen den Türkeibericht der Kommission für Ende 2003 bestellen müssen – vorausgesetzt, es geht ihnen wirklich um eine eindeutige Beitrittsperspektive. Träumen sie aber heimlich davon, die türkische Anwartschaft in den kommenden Jahren in eine andere Form der Partnerschaft umzumodeln, hätten sie den Mut aufbringen müssen, das endlich ehrlich zu sagen.