Viel Soll und wenig Haben

Der HSV blieb das siebte Spiel in Folge ungeschlagen, konnte mit dem 0:0 in Rostock aber kaum Boden im Ringen um die Illusion auf einen Platz im Uefa-Pokal gutmachen

Wenn Fußballer von Soll und Haben reden, dann verwechseln sie gern das eine mit dem anderen. Einem Banker hätte sich womöglich die Krawatte hochgerollt, so wie Hansa und der HSV nach einem 0:0 ohne Torchancen ihre Hinrunden-Bilanzen frisierten. Das Nordderby war ein trauriger Offenbarungseid, der eigentlich nur eines verdient hätte: Nicht mehr darüber zu reden.

Dennoch waren sich beide Teams nach Abpfiff einig, bisher im „Soll“ zu liegen. So sagt man im Fußballer-Deutsch, wenn man ein Haben meint. Dass diesem Soll wenig Haben, also Punkte und gute Leistungen gegenüberstehen, störte niemanden. Ganz im Gegenteil, man verwies auf noch schlechtere Zeiten und schon ging das Plus auf. Anstatt Ergebnisse an den eigenen Erwartungen und Möglichkeiten zu messen, glich man im Nachhinein die Erwartungen dem Ergebnis an. In den phrasenreichen Nachspielbetrachtungen glänzte beispielsweise HSV-Keeper Martin Pieckenhagen mit dem Statement: „Wir wollten hier einen Punkt und zu Null spielen.“ Warum sagt er nicht gleich, das Ziel war ein 0:0? Auch der Gegner hielt die dritte Halbzeit des Schönredens Remis. Ronald Maul rechnete vor: „Wenn es am Ende 40 Punkte sein sollen, dann sind wir mit 20 zur Hälfte voll im Soll.“

Zu den Rechenkünstlern zählt auch HSV-Coach Kurt Jara, der zu dem positiven Ergebnis kam, „dass man bei einem Sieg mit 27 Punkten noch weiter vorn gelandet wäre, als mit den 25 jetzt.“ Zur Hälfte der nun beendeten Halbserie standen im Hamburger Fußballer-Soll noch müde 12 Punkte, was Interims-Chef Ronald Wulff dazu bewog, im Falle des Erreichens der damals noch illusorischen 26-Punkte-Marke in die eisige Ostsee springen zu wollen. Das kann er sich angesichts der erreichten 25 Zähler zwar sparen, trotzdem glauben einige Verantwortliche des HSV an den UEFA-Pokal. „Wir haben Anschluss an die UEFA-Pokal- Plätze gehalten. Das macht uns Hoffnung, dass wir im Frühjahr auch angreifen können, wenn wir vom Start weg so spielen, wie wir vom Oktober an gespielt haben“, betonte Jara.

Hanseatische Großmannssucht und angesichts einer Partie, in der nicht nur die Rasenheizung ein Totalausfall war, sogar unverhohlene Schönfärberei. Dennoch zeigte sich Jara zufrieden. „Immerhin haben wir acht Punkte mehr als vor einem Jahr. Das zeigt, dass die Mannschaft einen Riesenschritt nach vorn gemacht hat“, schwärmte der HSV-Coach.

Es ist fast schade, das die Hinrunde schon vorbei ist“, bestätigte Pieckenhagen. Er hatte so wenig Bewährungsmöglichkeiten zu bestehen wie wohl selten zuvor in seiner Karriere. Die ran-Datenbank registrierte mit nur acht Torschüssen beider Vertretungen so wenige wie nie seit ihrem Bestehen. Nur der HSV hatte dafür natürlich eine Entschuldigung, denn mit Romeo und Sergej Barbarez fehlten torgefährliche Spieler. Dirk Böttcher