Eistanz im Schönwetter-Stadion

Die neue Rasenheizung im Weserstadion funktionierte nicht. Unter irregulären Bedingungen schliddern die Werder-Kicker erfolgreicher als Borussia Mönchengladbach und gelangen so ans Ziel aller Träume: Überwintern auf dem Champions-League-Anwartschafts-Platz drei

Bei Menschen, die ihr Auto tiefer legen, werden ja immer wieder gern Analogien zu ihrem intellektuellen Niveau gezogen. Allmählich muss man das ernsthaft auch für jene erwägen, die Stadien tiefer legen: Sie schaffen Sitzplätze, auf denen keiner sitzen will. Sie rechtfertigen das mit Weltmeisterschaften, die ganz woanders stattfinden. Sie „übersehen“, dass damit Leichtathletikwettkämpfe für immer passé sind. Und sie verlegen Rasenheizungen für teures Geld.

„Wir wissen, warum das alles angeleiert wird, dass man eine Rasenheizung hat“, doziert Werder-Trainer Thomas Schaaf. „Wir haben auch eine. Die funktioniert nicht“, schließt er trocken. Warum? „Da müssen Sie die Bremer Weserstadion GmbH fragen“, sagt Werders Mediendirektor Tino Polster säuerlich. Dabei waren die Folgen dieser Panne durchaus unterhaltsam. Nach zehn Minuten zum Beispiel wollte Werder-Torwart Pascal Borel partout nicht abschlagen, bevor er sich Noppen-Schuhe angezogen hatte. Eine solche Auszeit hätten sich auch seine Mannschaftskameraden nehmen sollen: Die Gäste von Borussia Mönchengladbach hatten eindeutig die bessere Bodenhaftung, und vor allem hatten sie verstanden, dass sie eines an diesem Tag besser sein lassen: Fußball spielen. Direktspiel hieß das Rezept auf dem eisigen Grund. Damit kann man sich zehnmal hintereinander zum Obst machen – und beim elften Mal trotzdem zum Helden werden.

Werder hingegen versuchte es mit überlegten Spielzügen, mit Kurzpässen, deren Schicksal ungefähr so berechenbar war wie der Lauf einer Flipper-Kugel. Bis auf Viktor Skripnik: Aus der ukrainischen Heimat mit gefrorenen Böden vertraut, spielte er den ersten langen Pass in die Spitze, in den Markus Daun nur noch den Fuß zum 1:0 halten musste. Die Kollegen lernten nur langsam aus diesem Erfolgsrezept, bewegten sich weiter eher wie Eistanz-Anfänger als wie Profi-Fußballer und boten so auf ihre Weise etwas fürs Auge.Vielleicht hätte Thomas Schaaf die Woche über auf der Semkenfahrt trainieren lassen sollen. Splapstikartig, wie Markus Daun dreimal in einer Sekunde auf dem selben Fleckchen versuchte, den linken Fuß sicher zu landen, oder wie an seinem Traumpass Ailton drei Meter vorbei schlidderte. Der wutentbrannte Brasilianer versuchte dennoch unermüdlich, sich mit solchen ungewohnten Bedingungen zu arrangieren, spielte Traumpässe, schoss am leeren Tor vorbei und bescherte schließlich doch noch Torwart Borel den zweiten Assist-Punkt der Saison: Einen endlos langen Abstoß nahm er auf jene ihm eigene Weise an, von der Werder-Fans noch im Jahr 2070 im Pflegeheim schwärmen werden, sie sei „unwiderstehlich“ gewesen, und zielte gefühlvoll an den Innenpfosten zum 2:0.

Gegen den heftig kritisierten Vorlagengeber traf gestern nur der ghanaische Prinz Lawrence Aidoo, aber Jeff Strasser hatte seiner Hoheit vorher regelwidrig die Bahn frei gemacht. Zweimal hätte es dennoch einschlagen können im Werder Tor: Als Borel vor dem Rauslaufen zu lange überlegte, ob er den Noppenschuhen vertrauen sollte, rettete ihn das Unvermögen des dritten Gladbacher Sturms. Bei einem platzierten Flachschuss rettete sich Borel selbst mit einem Blitz-reflex – und verhalf sich so zu einem einigermaßen entspannten Weihnachtsurlaub. „Wenn man kein Tor macht, ist es immer Scheiße“, analysierte Gäste-Coach Hans Meyer hinterher, rückte allerdings Werders-Erfolg mit einem Verweis auf acht verletzte Gladbacher Spieler zurecht: „Wir kriegen’s immer wieder hin, elf Leute auf dem Platz zu haben. Das ist kein Problem“, sagte Meyer galgenhumorig.

Verletzt hat sich auch Frank Verlaat – zum dritten Mal in ein paar Wochen im Gesicht. Aidoos Hinterschädel brachte ihm eine geplatzte Augenbraue ein. Das bedeutet wie beim Boxen: Aufgabe. „Wir haben einen Deal mit seinen Ärzten gemacht, er bekommt inzwischen Prozente“, witzelte ein zufriedener Schaaf hinterher, „aber ich bin optimistisch, dass wir ihn rechtzeitig für die Weihnachtsfeier wieder fit bekommen.“ Bei der funktioniert dann hoffentlich auch die Heizung. Jan Kahlcke