Kalte Bratwürste

Warum das 0:0 zwischen den Aufsteigern Hannover und Bielefeld überhaupt nicht langweilig war

HANNOVER taz ■ Oberflächlich betrachtet, kann ein null zu null zweier abstiegsgefährdeter Aufsteiger bei frostigen Temperaturen nicht interessant gewesen sein. Völlig ausgeschlossen, jede TV-Dreiminutenzusammenfassung beweist es. Der Ahnungslosigkeit, die aus diesem Vorurteil spricht, kann abgeholfen werden. Denn die Wirklichkeit, wie sie sich den unerschrockenen 27.962 Besuchern im hannoverschen Stadion präsentierte, hatte etliche Einzigartigkeiten zu bieten.

Hat in der Bundesligageschichte etwa schon einmal ein Spielausfall gedroht, weil ein paar Glühweinkübel zu viel ans Stromnetz angeschlossen waren und deshalb die Sicherung rausknallte? Eine Viertelstunde vor Beginn noch schwächelte das Flutlicht, doch die Elektriker bastelten erfolgreich am Notstromaggregat und später brannten die Birnen vorschriftsmäßig volle Pulle.

In der Halbzeitpause bat der Stadionsprecher vorsichtshalber um Nachsicht: „Der Verkauf von Heißgetränken musste eingestellt werden“, auch viele Bratwürste blieben roh und deshalb unverzehrt. Ein völlig erschöpfter Techniker meinte hinterher, er habe die ganze Zeit vorm Amperemeter gesessen und aufgepasst, denn jede Woche komme hier „eine Pizzabude dazu“.

Die nächste Premiere: Hat es etwa in der Geschichte der Bundesligavereine schon einmal einen Albaner gegeben, der als Mannschaftskapitän auflief? Vermutlich nicht. Altin Lala trug die Stretchbinde bei Hannover 96, weil Ralf Rangnick – um dessen Posten zurzeit so üblicher- wie idiotischerweise „diskutiert“ wird – ein Denkmal auf der Ersatzbank Platz nehmen ließ: Jörg Sievers, seit dreizehn Jahren unangefochten die Nummer eins, dem Verein treu bis hinab in die Regionalliga, der Heroe des Pokalsiegs 1992, er blieb draußen nach vier Niederlagen in Folge. Reserviertheit auf den Rängen gegenüber dem Nachfolger Tremmel? I wo. Denn im Profitum dreht sich doch alles um die Mannschaft, um den Verein, um die Sache, der sich alle unterzuordnen haben.

Die Reihe der superlativen Ereignisse nahm kein Ende. Wurde jemals in einem Ligaspiel außerhalb der Primera Division ein Spanier für einen Spanier eingewechselt? Eingedenk der sprichwörtlichen Heimattreue iberischer Fußballspieler wohl kaum. In der 70. Spielminute war es so weit: Jose Colmenero (früher Deportivo La Coruña) kam für Jaime (früher Deportivo La Coruña) und gab sein Debüt ein gutes Vierteljahr nach seiner Ankunft. Aber auch er vermochte nicht die Wende zu bringen, auch er gab nicht den entscheidenden Pass, auch er konnte nicht den zweiten Heimsieg der 96er eintüten.

Weitere bemerkenswerte Vorkommnisse: Noch nie in der Geschichte der Bundesliga, wie die „ran“-Datenbank ermittelte, blieb Hannover fünf Spiele hintereinander ohne Tor. Und irgendjemand anderes muss mal nachkucken, ob Arminia Bielefeld nach der Hinrunde jemals 22 Punkte auf dem Konto hatte.

Ansonsten war es gar kein schlechtes, zumindest kein langweiliges Spiel: unter den herrschenden Bedingungen, wie man zu ergänzen nicht müde werden darf. Niemand hatte erwartet, dass es so torreich hergehen würde wie im Vorjahr, als zwei offensivstarke Zweitligisten einen 4:4-Schlagabtausch hinlegten. Tore fielen am Sonnabend dennoch: zwei für die Arminia, die wegen Abseits bzw. Foulspiels nicht zählten; und eines beinahe, aber wirklich ganz knapp nur beinahe, für 96, als zuerst Bobic und zwei Sekunden später Konstantinides gegen die Latte köpften. Bei Bielefeld gefielen der ungemein überall seiende Kauf und der sympathisch verspielte Brinkmann, bei 96 Konstantinides, Lala und Cherundolo. Sowieso engagierten sich sämtliche Akteure vorbildlich.

Die Tapferkeitsmedaille schließlich gebührt Daniel Stendel, der als einziger Spieler komplett im sommerlichen Outfit, das heißt: im Kurzarmtrikot sowie ohne Handschuhe und Strumpfhose, auflief. Ein oberflächlicher Eindruck zwar, aber immerhin.

DIETRICH ZUR NEDDEN