Welt als Irrenhaus

Expressionistenpunk und Mummenschanz: Rik van Iersels Collagen, Karikaturen und Filzstift-Kritzeleien in der Galerie Peter Borchardt

von MARC PESCHKE

Seit mehr als 20 Jahren hat sich die englische Band The Fall in einem Ton eingeschlossen, den sie bis zum Stillstand wiederholt. Dunkel klingt dieser Ton, grollend und splitternd. Kaum mehr als ein Bass, ein Schlagzeug und eine E-Gitarre erschaffen ihn gemeinsam: Das Schlagzeug rumpelt eintönig, Bass und Gitarre schlingern mit.

All das könnte nach mehr als 20 Jahren langweilig werden, den Bandmitgliedern, vor allem aber dem musikalischen Direktor des Ganzen, dem 1957 in Manchester geborenen Mark E. Smith. Doch der ehemalige Dockarbeiter hat bereits im Jahr 1977 erkannt: Es gibt eine winzige Schnittmenge zwischen gähnender Langeweile und exzentrischem Glamour: Seit seinem ersten Album Bingo Master‘s Breakout beherrscht Mark E. Smith diese Rolle perfekt.

Wenn jetzt der niederländische Maler Rik van Iersel seine Ausstellung in der Galerie Peter Borchardt nach einem anderen The Fall-Album nennt, nach The 27 Points dann mag das auf den ersten Blick verwundern. Bunt lacht‘s von den großen und kleinen Ölbildern, Collagen, Gouachen, Karikaturen und Filzstiftkritzeleien. Doch genauer betrachtet zeigt van Iersel nichts anderes als das Chaos der Welt, das sich der Eindhovener als Stilmix zu eigen macht. Trash-Comics, Postpunk-Plakate, Copy-Art, Art Brut, Surrealismus, die jungen Wilden und auch die grafischen Gesten Cy Twomblys vereint der Holländer im grellen Miteinander. In einem Halbsatz: die Welt als Irrenhaus.

Van Iersel liebt das Kleinteilige, Hineingeklebte, die Restposten des Alltäglichen in der Kunst. Fast alles wird zu Kunst: eine alte Hotelrechnung, ein mit Schreibmaschine geschriebener Brief, Notenblätter – alles wird aus dem Zusammenhang gerissen und eingemacht. Van Iersels Arbeiten atmen den Geist von Zeiten, in denen es en vogue war, irgendwelche Sätze ins Bild zu bringen, von woher sie auch stammen mögen. Etwa von einem The Fall-Album oder auch Allgemeingültiges: „Never Aim The Air Gun At People!“ „Blackpool Pleasure“ steht auf einem der großen Bilder, auf einem anderen „I Heard The News Today“ – und man merkt dem Holländer an, dass er lange Comics gezeichnet hat, in Punkbands mit Namen wie „Der junge Hund“ spielt und Plattencover gestaltet.

Macht ihn das zu einem interessanten Künstler? Immerhin zweifelt van Iersel an der Realität, vielleicht leidet er auch an ihr – doch ist die ironische Hinterfragung nicht sein Stilmittel. In der Collage des Disparaten, in der alten Idee der Surrealisten findet van Iersel sein Glück, in der ständigen Überlagerung immer neuer, aufgeklebter, gemalter und gekritzelter Schichten.

Frisch mutet der Krikelkrakel-Gestus des 1961 geborenen van Iersel an, seine Masken mit Knopfaugen und Schweinenasen, seine spickzettelgroßen Trash-Capriccios, die er seit seiner Kindheit malte – statt mit den anderen Jungs Fußball zu spielen. Das ist Expressionistenpunk und Mummenschanz, Basquiat und Dubuffet in einem. Ein bisschen wurmstichig vielleicht, doch innovativ zu sein, das hat man von The Fall auch nie verlangt. „Alle Kunst ist Wiederfinden“ sagt Rik van Iersel. Pop-Prinz Mark E. Smith war amused – und gab im Eindhovener Kunstzentrum MU eine Musikperformance mit van Iersel. Kleinformatige Arbeiten, die van Iersel „Versuchsfelder“ nennt, sowie „Mixed Media auf Leinwand“, komplettieren die Schau.

Di–Fr 12–20, Sa 11–16 Uhr, Galerie Peter Borchardt, Große Elbstraße 68; bis 8. Februar