Auf Fühlweite mit „dem Ausländer“

„Rent an immigrant“ ist ein modernes Zeitzeugenprogramm des Vereins „Gesicht zeigen!“. Im Gespräch mit thailändischen Kampflehrern, türkischen Schauspielern und holländischen Taxifahrern lernen Schüler, ihr Bild vom Fremden zu differenzieren

„Vielleicht sagen sie ja, wir haben einen Ausländer kennen gelernt, der ist okay“

von MARKUS POHL

Woher kommt das Schlagzeug? Die Achtklässler im Raum 102 der Realschule Bernau sind unschlüssig. „England?“ „Aus dem afrikanischen Raum?“ Konstantin Lutschanski, aus der Ukraine stammender Erzieher und Musiker, gibt die Antwort selbst: „Das Schlagzeug ist aus den USA und wurde in den zwanziger Jahren erfunden.“

Lutschanski hat den vierzehn Schülern, die an diesem Wintermorgen im Kreis um den 31-Jährigen mit der gelb-grünen Trainingsjacke und dem bereits angegrauten Haar sitzen, noch andere Instrumente mitgebracht: einen Schellenring aus Brasilien, den man dort Pandero nennt, eine hohe Trommel aus dem Orient für den Bauchtanz, Schlaghölzer aus Kuba.

Und während Lutschanski noch erklärt, dass Trommeln in der europäischen Musik lange Zeit verpönt waren, schwitzt im Nebenraum schon der Rest der achten Klasse bei orientalischen Klängen. Eingehüllt in bunte Seidenhosen und mit schwarzen Netztüchern um die Hüften versuchen die etwas steifen, bauchfreien Ost-Jugendlichen, die lasziven Beckenbewegungen ihrer kurdischen Vortänzerin nachzuahmen.

Ein Hauch von Multikulti in Brandenburg. Dort, wo die Migranten rar und die Vorurteile groß sind. Der ungewöhnliche Unterricht ist eine Initiative des Vereins „Gesicht Zeigen!“ mit einem etwas obskuren Titel: „Rent an immigrant“. „Wir sind kein politisches Bildungsprojekt“, erklärt die Projektleiterin Swantje Neumann. „Wir wollen Migration als Normalität und Bereicherung erfahrbar machen.“ Die Idee dahinter: Dem Rassisten dient der Fremde nur als Projektionsfläche. Im unmittelbaren Kontakt mit selbstbewussten Menschen nichtdeutscher Herkunft lassen sich dagegen Vorurteile aufbrechen. „Die denken, alle Türken machen Frauen an, dabei kennen sie gar keinen Türken“, sagt Neumann.

Fast jeder fünfte Jugendliche in Brandenburg hegt laut Studien rechtsextremes Gedankengut. Der Ausländeranteil liegt bei etwas mehr als zwei Prozent.

Seit einigen Wochen ziehen nun thailändische Kampfkunstlehrer, türkische Schauspieler und holländische Taxifahrer mit „Gesicht Zeigen!“ durch die Schulen des Landes. Sie geben ihr berufliches Wissen weiter und erzählen von ihren Erfahrungen als Migranten. 28 Schulen nehmen an dem Projekt teil, bis Ende des Jahres ist das Geld aus dem Fördertopf Civitas der Bundesregierung gesichert.

Nach rechter Szene sieht in der Bernauer Realschule niemand aus. Die Jungs tragen Turnschuhe und Haargel, die Mädchen Turnschuhe und Wimperntusche. Die Stimmung ist gut, die Jugendlichen lachen und drängen sich um Lutschanski und sein Schlagzeug in der Ecke des Klassenzimmers. „Eins, zwei, drei, vier“, zählt der monoton, und der 14-jährige Stephan müht sich mit Begeisterung, einen Viervierteltakt auf dem Schlagzeug hinzukriegen. Eine Schülerin zeichnet derweil auf einer stilisierten Weltkarte an der Tafel den Weg des Schellenrings von Asien nach Südamerika und Europa ein. „Ich will Klischeedenken aufbrechen“, sagt der Erzieher. „Vielleicht sagen sie ja hinterher, wir haben einen kennen gelernt, der ist ganz okay.“

Ein paar Zimmer weiter, außer Hörweite des Schlagzeugs, sitzt Schulleiter Ottmar Nickel in seinem Büro und ist angetan von dem Projekt. „Wir müssen Vorbilder sein, ein Stückchen Toleranz schaffen“, sagt er. Mit Holzfällerhemd und beigefarbener Kordhose wirkt der 41-Jährige nicht wie der Typ „strenger Direktor“ – eher wie „engagierter Pädagoge“. Höchstens zehn Jugendliche gebe es an der Schule, die in den auch bei Neonazis beliebten Pullovern der Marke Lonsdale herumlaufen. Aber ein Neonaziproblem – nein. Den Projekttag versteht er präventiv: „Wir sind auch nur Teil der Gesellschaft. Aber die Meinung der jungen Leute kannst du noch beeinflussen, die sind noch nicht verfestigt.“

Im Klassenzimmer erzählt Lutschanski von dem Gefühl, immer wieder fremd in einem Land zu sein. Mit fünf Jahren ist er mit Eltern und zwei Geschwistern aus der Ukraine ausgewandert, hat in Italien, in Österreich und den USA gelebt. „Wenn er einen deutschen Pass hat, ist er Deutscher“, sind sich die Schüler einig. Fast alle können sich vorstellen, selbst in ein anderes Land zu gehen. Nach England, in die Schweiz. „Oder in die Karibik“, ruft einer. „Als Bananenverkäufer.“ Und Tom findet den Projekttag „sehr gut“. Er hofft auf „Frieden zwischen den Ländern“.

So politisch korrekt laufen die Diskussionsrunden längst nicht immer ab. „Manche sagen ganz offen, die Ausländer sind alle kriminell“, berichtet Projektleiterin Neumann. Und manchmal beschleicht sie auch ein Verdacht: „An die Schulen, wo es wirklich Probleme gibt, werden wir erst gar nicht eingeladen. Da sind die Lehrer zu ängstlich.“

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