Das Härteste im Leben

Die Singer/Songwriterin Mary Gauthier spielt heute Abend im Magnet-Club –über Drag Queens in Limousinen, Barschlampen und betrunkene Philosophen

Bei Countrymusik denkt man hierzulande gern an bierselige Cowboy- und Truckerfestivitäten. Für die Songwriterin Mary Gauthier wäre es kein Problem, dort aufzutreten, lieber jedoch ist ihr ein Publikum, das auch ihren Texten zuhört. Denn ihre Songs leben weniger von der zünftigen Stimmung und mehr von den Worten und den Schicksalen dahinter. Mary Gauthier, die aus dem Süden der USA stammt, aus Louisiana, bezeichnet sich selbst als „Southern Folksinger“. Sie erzählt am liebsten von Drag Queens in Limousinen, Nonnen in Blue Jeans, Träumern, Dichtern, Barschlampen und betrunkenen Philosophen, aber sie besingt auch immer wieder Obdachlose, Junkies, einsame Alkoholiker und deren Probleme, Süchte und Sehnsüchte.

Nicht von ungefähr; ist ihr der Kosmos ihrer Protagonisten doch wohl bekannt. Mit 15 verschwand sie aus dem rechtskonservativen Elternhaus in Louisiana. Sie landete in Erziehungsanstalten und lebte auf der Straße. Ihren 18. Geburtstag verbrachte sie im Gefängnis, und im Laufe der Jahre verfiel sie auch dem Alkohol. Ihre schwere Abhängigkeit beendete Mary Gauthier von einem Tag auf den anderen, als sie vor zwölf Jahren wegen Alkohols am Steuer festgenommen wurde.

Während des Gesprächs, das in den Räumlichkeiten einer Promoagentur in einem Hinterhaus in Prenzlauer Berg stattfindet, spürt man, wie ungern sie von ihrem unsteten Leben erzählt. Nach der Zeit auf der Straße führte sie zehn Jahre lang ein Cajun-Restaurant in Boston. Als sie den Alkoholismus überwunden hatte – „Das war das Härteste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe“ – entdeckte Mary Gauthier ihr Songwriter-Talent, verkaufte das Restaurant und begann im Alter von 34 mit ihrer Gitarre aufzutreten. Sie spielte sich mühsam durch Kaschemmen und Hinterzimmer, hatte mit einem ignoranten Publikum zu kämpfen, ist inzwischen aber Stammgast bei allen großen Folkfestivals. Das Publikum dort aus Bikern, Cowboys, Hippies und Anhängern der Grünen sagt ihr zu, doch gerne würde die Lesbe viel mehr Frauen bei ihren Auftritten sehen. Allerdings steht das Lesbischsein in ihren Songs nicht im Mittelpunkt, und eine lesbische Politaktivistin will sie schon gar nicht sein, weshalb sie auch sagt: „Ich bin mehr von Nutzen für ein Cowboy-Publikum. Bei Lesbenfestivals bin ich nur eine weitere Lesbe, aber vor den Cowboys bin ich eine Lesbe, die mit ihrer Musik in ihr Herz vordringt, in eine völlig fremde Männerwelt sozusagen.“

„Filth and Fire“, so der Titel ihres aktuellen Albums, steht, etwas pathetisch, für das reinigende Feuer, für die Veränderungen in ihrem Leben und den ganzen Dreck, den Mary Gauthier hinter sich zu lassen hofft. Im engeren Sinn gehört dazu auch ihr momentanes Leben als Musikerin. Im Gespräch beklagt sie die schäbigen Unterkünfte und schmutzigen Backstage-Räume, die MusikerInnen zugemutet werden. Auch mit dem Raum, in dem das Gespräch stattfindet, ist sie äußerst unzufrieden. Sie weigert sich, den Kaffee zu trinken, und schüttelt sich vor Abscheu. Am Ende des Gesprächs führt sie noch die Außentoilette im Treppenhaus vor, in der die Kaffeetassen in einem winzigen Handwaschbecken gespült werden – direkt daneben hängt das Männerpissoir. Der Vergleich mit George W. Bush, für den die Tassen eine Stunde lang ausgekocht werden müssen, gefällt ihr aber auch nicht, und sie kommt mehrmals kopfschüttelnd darauf zurück.

Nein, eine Country-Diva will sie gar nicht werden – aber ein netter, sauberer Backstage-Raum wäre für sie schon eine große Verbesserung. IRENE HUMMEL

Mary Gauthier spielt heute Abend ab 21 Uhr im Magnet-Club, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg